Hamburger Kammerspiele - Rezensionen
Das große Thema sitzt im Menschen
Eine Rezension von Melina Mork.
Autor: Melina Mork
Ein makabres, aber aktuelles Thema spricht US-Autorin Jennifer Haley mit ihrem preisgekrönten Science-Fiction Thriller „Die Netzwelt“ an, dass am 10. April unter der Regie von Ralph Bridle in den Hamburger Kammerspielen Premiere feierte. Es ist das Thema Pädophilie, dass zum Denken und Diskutieren anregen soll, und über das die Zuschauer auch über das Ende der Vorstellung hinaus laut und offen reden oder streiten dürfen.
„Die Möglichkeit eines Lebens ohne Konsequenzen“
Der Regieanweisung zufolge spielt die Handlung „bald“: Der Geschäftsmann Mr. Sims (Christian Kolund) wird von der ‚Ermittlungsbehörde der Netzwelt’ angeklagt. In der Netzwelt hat Sims mit seiner Figur „Papa“ einen Zufluchtsort für Lust, Drang und krankhafte Fantasien geschaffen in der es keine Konsequenzen gibt. Nicht für das Vergehen an Kindern, nicht einmal für Mord. Denn das „Refugium“ ist nicht real.
Dem entgegen steht die taffe Kommissarin Morris (Neda Rahmanian), die mit allen Mitteln versucht Sims zu Fall zu bringen und Recht zu sprechen. Auch der Undercover-Agent Woodnut (Björn Ahrens) verfällt im „Refugium“ den Reizen der jungen Iris (Annika Schrumpf). Je weiter die Handlung voranschreitet desto mehr gibt er sich der Versuchung der Domäne hin, verfällt Iris und gerät an menschliche Abgründe.
Die virtuelle Welt als Anreiz
Zwischenzeitlich Tanzen in der Netzwelt gleich mehrere Mädchen über die Bühne, deren Kleider an „Alice im Wunderland“ erinnern. Die Kostüme sind auf die Charaktere abgestimmt und spiegeln ihre Persönlichkeiten wieder. Zugeknöpft, kindlich oder auch frei und erhaben. Eine Plexiglaswand trennt die reale Welt von dem Geschehen der Netzwelt, räumlich als auch atmosphärisch. Weißes LED Licht lässt die Verhörszenen kalt und statisch wirken, während das „Refugium“ in warmen Farben, mit Sternen an der Rückwand und Lichtpunkten beleuchtet wird. Ein Klavier, ein Bett, ein Berg aus Kuscheltieren und eine Axt vor einem einzelnen Baum schmücken das Zimmer der Netzwelt im klaren Kontrast zu den wenigen Requisiten der realen Welt. Es ist bunt, reizvoll und scheint so von den grausamen Handlungen abzulenken.
Dem Ensemble gelingt es durch hervorragendes Zusammenspiel die Charaktere mit Leben zu erfüllen, den Zuschauer einzufangen und mit punktierter Komik auch bei diesem ernsten Thema als Entspannung zum Lachen zu bringen. Man wird in die Welt hineingesogen, bis die Anhörung irgendwann nicht mehr im Vordergrund steht, nur um in den Verhörszenen wieder gezeigt zu bekommen, dass es sich um Straftaten handelt.
„Die Netzwelt“ ist ein Themenstück, das viele Fragen aufwirft, die nicht nur in Zukunft, sondern auch jetzt schon von großer Bedeutsamkeit sind. Jennifer Haley schafft ein intelligentes Spiel aus Argumentationslinien und dreidimensionalen Charakteren, die sich vielseitig entfalten und Fragen stellen, die in dem Stück nicht beantwortet werden können. Ein Schlagabtausch über Werte wie Moral und Unschuld. Denn das Stück geht weit über die Technologie hinaus. Das große Thema liegt im Menschen - wer wir sind, als was wir uns präsentieren möchten und wie wir unsere Freiheit im digitalen Alltag ausleben können.
Diese Mischung hat das Premierenpublikum überzeugt, welches trotz des aufwühlenden Themas die Inszenierung und das Ensemble mit anhaltendem Applaus belohnt hat.
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