Lichthof-Theater

Auf kein Wort

"Chronic Hiccup" - ein Stimmexperiment unter dem Motto "Hauptsache frei".

Autor: Maike Reiß

Alles schwarz. Schwarzer Linoleum-Boden, schwarz gestrichene Wände, ein schwarzer Vorhang. Große Fenster dienen als Lichtquelle und bilden das Paradoxon. Der obskur gestaltete Raum trifft auf einen strahlend blauen Himmel und weißes Licht. In dem erhellten Zimmer stehen zwei junge Frauen diagonal gegenüber in verschiedenen Ecken. Beim Betreten empfängt die Gäste eine erwartungsvolle Stimmung, doch die Begrüßung fällt schlicht aus: Nur die Eintrittskarten werden von einer Mitarbeiterin geprüft, doch die Performerinnen verlieren kein Wort. Ihnen entlocken nicht einmal die neugieren Blicke einen Gesichtszug jeglicher Emotion. Rote, kleine Sitzkissen auf dem Boden signalisieren den Eintretenden, dass sie sich auf den Boden setzen sollen, um der künstlerischen Aufführung zu folgen. Sie liegen auf beiden Seiten des Raumes und eine Lücke zwischen den „Sitzreihen“ bildet einen Art Trampelpfad. Mehr Bewegungsfreiheit. Das Publikum sitzt sich gegenüber.

Alyssa Marie Warncke und Ann-Kathrin Quednau heißen die beide Performance-Künstlerinnen und bilden ein Vertreter-Duo der freien Szene. Ann-Kathrin offenbart mit dieser Aufführung ihre erste eigene Arbeit.

Als alle Beteiligten sitzen und gespannt auf die Vorführung warten, starten die jungen Frauen mit einem synchronen Gesang. „Joooooor“, stimmen die beiden in unterschiedlichen Stimmlagen an. Alyssa gibt den dunkleren Ton an. Die Stimme von der Rothaarigen gleicht dem, was man wohl mit „Engelsgesang“ impliziert. Eine helle, gedeckte Stimme umgibt ihre Ecke. Nach etwa fünf Minuten der gleichen Prozedur verändert sich die Stimmung. Diese wird hervorgerufen durch den sich veränderten Anklang. Im Gegensatz zum Anfang singen sie nun asynchron. Sie gehen aufeinander zu, in die Mitte des Raumes. Zwischen den beiden Publikumshälften fangen sie an im Kreis zu gehen. Im Gleichschritt liefern sie sich einen Starrwettbewerb, scheinbar unberührt von der Tatsache, dass sie beobachtet werden. Mit lediglich einem Wort in unterschiedlichen Höhen singen sie sich an: „hooo“. Immer abwechselnd. Die Zeit scheint stehen zu bleiben, denn die Eintönigkeit der Performance ist zäh. Erst lang gezogen, dann im schnelleren Tempo stimmen sie immer wieder denselben Wortlaut an. Aus dem Nichts wirf Ann-Kathrin einen neuen Ton in die Stimmrunde. Ein Laut, der im ersten Moment völlig fehl am Platz wirkt. Er gleicht einem Tierlaut. Wie ein immer wiederkehrender, kurzer Schrei. Das Tempo reduziert sich wieder, doch sie hören nicht auf zu singen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie kein einziges Wort gesprochen. Sie gehen den Raum versetzt an den Wänden entlang und führen ihre Performance fort. Ann-Kathrin legt ihren ausfallenden Wortlaut zwischendurch nicht ab und auch Alyssa tanzt nun scheinbar aus der Reihe: „haa“, atmet sie laut und deutlich aus.

Sie treffen aufeinander an einer Wand des Raumes, gut sichtbar für alle Schaulustigen. Abwechselnd dreht sich eine der beiden zur Wand und singt dort weiter. Der Ton der Sängerin, die zur Wand trällert, wird gedämpft. Das Singspiel bleibt wechselhaft, jedoch nur was die Stimmlage betrifft. Niemand sonst spricht. Der Raum ist erfüllt von ihrem „Hoquetus“.

Ihr Zusammentreffen endet, als sie einzeln zu einer Seite des Publikums wandern und sich hinhocken. Sie singen nun ihre Performance hin und her schwenkend in die Ohren der Zuhörer. Als jeder der Sitzenden einen Ton näher gebracht bekommen hat, wird einer scheinbar beliebigen Person leise ins Ohr gesungen: „haaa“. Die Aufgabe ist klar: Deine Stimme laut hören lassen und dann dem Nächsten weiter geben. Die Performance kommt kurz ins Stocken. Vereinzelte Hemmungen und hastige Blicke umher machen sich breit. Doch die Unsicherheit verfliegt schnell wieder. Alle machen mit. 

Die Performance wird in dem Programmheft als eine Art Experiment beschrieben. Die beiden wollen sich einander annähern, austauschen und ihre Stimme weitergeben. „Kann die eigene  Stimme übergeben werden?“, ist die Leitfrage unter der die halbstündige Aufführung steht. Die Beobachtung der Szenerie und die Feststellung, ob dies nun erfüllt wird, bleibt Interpretationssache.

Die beiden schwarz Gekleideten stellen sich wieder auf ihre Anfangspositionen und verstummen. Unsichere Blicke wandern im Publikum umher und fragen: Ist es zu Ende? Soll ich klatschen?

Zwei Minuten Ruhe verstreichen. Dann ein austauschender Blick zwischen den Performerinnen, und Ann-Kathrin wandert hinüber zu ihrer Partnerin. Sie stellen sich vor die Wand und verbeugen sich.