Sprechwerk

Früher war sogar die Zukunft besser

Mein Gammelfleisch - eine Verfallsstudie

Autor: Sophia Herzog

„We’re gonna have a really good time together.“ Mit diesen Worten eröffnen die Schauspieler des Plan B Theaters ihr Stück „Mein Gammelfleisch – Eine Verfallstudie“ am letzten Spieltag des „Hauptsache Frei“-Festivals im Sprechwerk Hamburg. Zum zwanzigsten Geburtstag des Plan B-Theaters wollen sich die Gründer Karl-Heinz Ahlers, Thomas Esser und Hartmut Fiegen zusammen mit Andrea zum Felde einer schonungslosen Selbstanalyse unterziehen. Denn der Markt scheint schon lange nicht mehr der zu sein, der er einmal war. Qualität steht gegen Quantität, Berufserfahrung gegen Arbeitseifer. Und die Ensembles der renommierten Schauspielhäuser werden immer jünger, attraktiver und hipper. Für die Alten ist offenbar keinen Platz. Deswegen wollen die vier Schauspieler reinen Tisch mit sich selbst und ihrer langjährigen gemeinsamen Arbeit machen. Bei ihrer festen Absicht zur Selbstverbesserung werden alle Maßnahmen in Betracht gezogen. Altersschwächen und das eigene „Gammelfleisch“ sollen mit Schönheitsoperationen optimiert werden, es werden Marktanalysen betrieben und Lebensläufe rezitiert. Die Nachfrage der Zuschauer wird ebenfalls berücksichtigt. Jeder darf die Erwartungen an den Abend auf Papierflieger schreiben und auf die Bühne werfen.

Doch was als selbstoptimierendes Projekt geplant war, scheint aus dem Ruder zu laufen, und schnell wird klar – die Lage ist hoffnungsloser als erwartet. Auf die Frage, wo das Plan B Theater steht und wo es eigentlich hin will, weiß keiner der vier Protagonisten so recht eine Antwort. In ihren wechselseitigen Interviews machen sich Unmut und Pessimismus für die Zukunft breit. Schließlich sei das freie Theater finanziell nicht abgesichert.

Das zu Anfang des Stückes gemachte Versprechen, dass alle Anwesenden eine gute Zeit haben werden, wird allemal gehalten. Die Schauspieler ziehen sich und ihre Branche durch den Kakao, und werden dabei vom anhaltenden Gelächter des Publikums begleitet. Mit zunehmendem Chaos auf der Bühne steigt der Unterhaltungswert des Stückes. Zum Schluss starten die Schauspieler einen letzten verzweifelten Versuch, das Projekt zu retten. In den letzten 30 Minuten soll der Abend zu etwas Besonderem werden. Die beste Lösung? Remmidemmi. Ahlers und Esser malen sich gegenseitig zu Indianergesang und unregelmäßigem Schlagzeug-Rhythmus ein Hakenkreuz und Judenstern mit Farbe auf die Brust – als eine Art „politische Bodypainting-Einlage“, wie sie selbstkritisch offenbaren. Das Publikum grölt.

Dann wird es plötzlich still auf der Bühne. Wie bei einer Selbsthilfegruppe sitzen alle zu trauriger Hintergrundmusik zusammen und lassen die letzten zwei Stunden Revue passieren. Dabei sprechen sie aus, welches Resümée Publikum und Presse wohl über diesen Theaterabend ziehen werden: es sei ein „hinreißend verzweifelter Abend, an dem die Schauspieler alles versuchten, es aber nicht hinbekamen“. Als das Licht ausgeht, wird klar, dass das Stück im Gegensatz zu der durchgeführten Selbstanalyse alles andere als gescheitert ist. Denn durch ihre gnadenlose Selbstironie und das fabelhafte Zusammenspiel der Schauspieler, das an manchen Stellen sogar wie improvisiert wirkt, begeistert „Mein Gammelfleisch – Eine Verfallstudie“ jeden Zuschauer. Das Projekt war erfolgreich – Das Ende des Plan B Theaters ist noch lange nicht gekommen.