Eine Unterhaltungstour mit zweitem Akt im Lichthof-Theater
Mit Axt und Karohemd gegen die Obrigkeit
Willi Tell - Die Axt von Altona
Autor: Lena Rüdiger
Zwischen Efeu, Ehrenpreis und Erbsen rankt sich das Polit-Drama von dem Künstler-Duo „Die Azubis“. Das Stück feierte im vergangenen Jahr Premiere, thematisiert aber die immer noch brandaktuelle Diskussion zum Lärmschutzwall, dem „Deckel“ der A7 in Altona.
Als eine Produktion des Lichthoftheaters darf es deshalb auch beim „Hauptsache Frei“- Festival nicht fehlen. Frei sein möchte schließlich auch der Schrebergartenbesitzer Willi Tell, der sein geliebtes Stückchen grünen Flecks nicht den Bauplänen der Stadt Hamburg überlassen will.
„Willi Tell – Die Axt von Altona“ nimmt den Zuschauer mit auf eine knapp drei stündige Unterhaltungstour durch Altona. Ja, Sie haben richtig gelesen, eine UnterhaltungsTOUR. Es geht durch die Straßen Othmarschens, über die Autobahn, an Autos, Lärm und Passanten vorbei, zur grünen Idylle des Gartenfreundes. Mit seinem Garten als Kleinformat im Gepäck nimmt Willi die Zuschauer weiter mit ins Lichthoftheater, wo die Darbietung ihr großes Finale findet.
Hauptdarsteller Johannes Nehlsen, der aktuell auch in „Die Gerechten“ im JungenSchauSpielHausHamburg zu sehen ist, verkörpert den Charakter des erzürnten Willi Tells hervorragend. Durch sein Schauspiel und die Tour durch Othmarschen wird dem Zuschauer das Problem mit dem Schutzwall auf sehr emotionale und kreative Weise näher gebracht. Auch mimt der Schauspieler den Widerstand, den auch schon Friedrich Schiller seinem Helden Wilhelm Tell zugeschrieben hat, sehr überzeugend. Wie auch Wilhelm ist Willi erzürnt über die Machenschaften der Regentschaft.
Ein Lärmschutzwall über der A7 klingt beim ersten Hören doch gar nicht mal so falsch. Für Willi bedeutet es aber, seinen geliebten Schrebergarten aufgeben zu müssen, da das Grundstück nun einmal städtisches Eigentum ist. Die Stadt will die Grünanlage jedoch an Investoren verkaufen, um den Umbau der A7 finanzieren zu können. Wie der Vertreter der Stadt feststellen muss, wurde diese Rechnung aber ohne Willi gemacht. Ganz nach Schillers Vorbild tritt dieser nämlich den Widerstand gegen die Obrigen an, wenn auch gewaltfreier als der Dramenheld.
Willi ist aber nicht der einzige, den der Umbau betrifft. Christian, ein Anwohner der A7, springt aus dem Publikum auf und kann die Sicht seines gereizten Nachbarn nicht verstehen.
Endlich wieder eins! Ein Altona, eine Einheit und ganz viel Ruhe. Und all die Wohnbauten, die geschaffen werden können. Er ist Befürworter des Deckels und sieht überhaupt keinen Nachteil bei den Plänen der Stadt.
Die Diskussion ist entfacht und reißt den Zuschauer mit in einen Sturm aus Argumenten, Fakten und Ausrufungszeichen.
Spätestens jetzt wird ein weiterer Clou des Stücks deutlich: Nähe.
Ob zum Publikum, Fakten der Debatte oder dem Ort des Geschehens, nichts ist auf großer Distanz. Der Zuschauer wird nicht nur zum Mit- und Nachdenken, sondern auch direkt Mitgestalten animiert, wie unter anderem bei der „Bebauung“ des Lärmschutzwalls. Die Zuschauer werden aufgefordert, mit ihrem Stuhl an den „Deckel“ heranzurücken, nachdem Christian den grünen Teppich vor ihnen ausgerollt hat. Die Bühne befindet sich nun als Steg zwischen dem Publikum, das sich mit kindlicher Begeisterung auf die ausgekippten Legosteine stürzt und damit dem Deckel Leben verleiht.
Unter der künstlerischen Leitung von Kai Fischer und Christopher Weiß, den „Azubis“, ist eine mitreißende Inszenierung von einem etwas anderen Wilhelm Tell entstanden. Puffhose und Leinenbluse weichen Jeans und Karohemd und der Apfel wird auch nicht vom Kopf geschossen. In Tanz- und Gesangperformances diskutieren die Protagonisten vielmehr über Naturschutz, die Weiterentwicklung einer Stadt und über ganz viel Grün. Muss „das Alte dem Neuen weichen“? Willi (will) tell you.
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