Sprechwerk
Die Gedanken sind frei
Your outside is in and your inside is out
Autor: Josephine Andreoli
Als die Zuschauer das abgedunkelte Sprechwerk, eine kleine Off-Bühne für urige Aufführungen und Experimente Hamburgs, betreten, ist erwartungsvolles Stimmengewirr zu hören. Wie blind tastet sich das Publikum zu seinen Plätzen, denn im Saal ist es dunkel. Alles ist schwarz, nur ein weißes, kaltes Licht wird an die hintere Bühnenwand zur Decke empor gestrahlt und erfüllt den Zuschauerraum mit einer gespannten/elektrisierten Atmosphäre. Erst auf den zweiten Blick fallen die sich skurril auf dem Boden verrenkenden, wie dorthin deponierten Tänzerinnen auf. Dann wird es still und alle Blicke sind auf die reglosen, im Schatten liegenden Performerinnen gerichtet, welche sich an der Unruhe im Zuschauerraum nicht zu stören scheinen.
Bei der von Ursina Tossi choreografierten Tanz-Performance „Your outside is in and your inside is out“ thematisieren drei Tänzerinnen, einschließlich der Choreografin, die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit der Mensch Herr seiner selbst ist oder aber durch Außenstehende kontrolliert wird. Wie ist der Mensch gestrickt? Wie fällt er seine Entscheidungen? Inwieweit ähneln wir Maschinen und Tieren?
Die Stille wird immer lauter, bis zwei blechende Roboterstimmen im Audio-Chat eine Unterhaltung beginnen. Mit gebanntem Blick sitzen die Zuschauer kerzengerade auf ihren Stühlen und lauschen der kryptischen Konversation. Dann kehrt wieder Stille ein. Im nächsten Moment richten sich die drei Tänzerinnen nacheinander in Slow-Motion auf und bewegen sich auf die linke Seite der Bühne zu, wo sie sich diagonal vor einem in der Luft schwebendem Fernseher aufreihen.
Alle drei Performerinnen tragen von oben bis unten indigoblaue Kleidung samt Kopfbedeckung. Ihr Blick ist leer und emotionslos auf den für die Zuschauer nicht sichtbaren Bildschirm des Fernsehers gerichtet. Ohne einen für das Publikum ersichtlichen Grund beginnen die drei, sich auszuziehen. Die Kopfbedeckung wird auf den Boden fallen gelassen, dann folgen Shirt und Hose. Als sie nur noch mit neonfarbigem Slip und dunkelblauem Top bekleidet dastehen, ziehen sie ihre Sachen wieder an – und wieder aus. Wie mechanisch wird dieser Vorgang unzählige Male vollzogen. Erstmals ertönen gluckernde, klickernde, surrende, immer penetranter und lauter werdende Geräusche. Die Tänzerinnen wechseln auf die rechte Seite der Bühne, wo sie sich ebenfalls diagonal vor einem schwebenden Fernseher aufstellen. Ruckartig und rapide richten sie ihre Köpfe in verschiedenste Richtungen, beginnen mit den Füßen zu scharren wie Pferde, scheinen Witterungen in der Luft aufzunehmen und wuseln herum wie ein Rudel von Wölfen – die mechanischen, immerzu wiederholten Bewegungsabläufe im Takt der Musik führen zu den unterschiedlichsten Gefühlen.
Die Bewegungsdynamik der Tänzerinnen ist fesselnd. Im Zuschauerraum ist kein Mucks zu hören, niemand kann den Blick von dem obskuren Geschehen abwenden. Auch wenn es sich um eine Rekurrenz der Bewegungen handelt, ist das Publikum eingenommen von der teils erschütternden sowie beinahe beängstigenden Performance der Tänzerinnen. Und die Zuschauer fragen sich, was auf den für sie nicht einsehbaren Fernsehbildschirmen dargestellt sein könnte: Folgen sie Hierarchien und werden von diesen wie Werkzeuge, Marionetten benutzt? Handeln sie intuitiv? Verstärkt wird diese Fragestellung besonders, als ein flimmerndes Fernsehbild auf die sich am Boden räkelnden Darstellerinnen geworfen wird. Die gleichen und doch immer wieder neuen Bilder öffnen kontinuierlich neue Assoziationsräume, die, wie das Festival der darstellenden Künste womöglich im Titel schon verspricht, jedem Besucher freigestellt sind.
Das plötzliche Ende der Performance zeigt die drei Tänzerinnen in über dem Boden schwebenden Schlaufen, welche das Image der Marionettenhaftigkeit durch über uns herrschende Hierarchien in unserer Gesellschaft, durch die beeindruckende Darbietung verstärken. Die lauten, überwältigenden Geräusche verstummen, das Licht geht aus. Plötzlich herrscht Totenstille im Saal, nach einigen Momenten wird es unruhig im Zuschauerraum. Einige beginnen zaghaft zu klatschen, der Rest folgt ihrem Beispiel. Unschlüssig darüber, ob die Vorstellung zu Ende ist oder nicht. Dann geht das Licht wieder an und die Tänzerinnen befreien sich geschmeidig, wie gewöhnliche Menschen, aus ihren Schlaufen, stehen auf und verbeugen sich. Tosender, nicht enden wollender Applaus erklingt.
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