Hamburg

Mehr als nur der letzte Atemzug

Autor: Moritz Studer

Im Oktober 2014 sorgte die Bewegung „Hooligans gegen Salafisten“ (HogeSa) für Aufsehen. Hooligans unterschiedlichster Vereine haben sich zusammengetan, um gegen einen gemeinsamen Feind vorzugehen. Aber nicht nur die Hooligans, sondern auch ein großer Teil der deutschen Gesellschaft steht dem Salafismus mit Skepsis gegenüber. Die totgesagten Hooligans finden den Weg zurück in die Öffentlichkeit.

Menschenmassen, Tumulte und Parolen. Immer wieder schallte es durch die Kölner Innenstadt: „Wir wollen keine Salafisten-Schweine.“ Dunkel gekleidete und vermummte Anhänger folgen dieser Demonstration. Der Frust wendet sich gegen die Polizei und deren Fahrzeuge. Eine große Gruppe kippt einen Polizeiwagen auf die Seite. Einige posieren noch vor dem Fahrzeug und schießen Fotos. Bilder, die durch ganz Deutschland gingen. Bilder, die ganz Deutschland schockiert. Und auch Bilder, die zum Ergreifen einiger Täter führte. Die Geburtsstunde einer gefährlichen und umstrittenen Bewegung mit ihrem ersten Auftritt auf der Bühne der Öffentlichkeit.

Spätestens seit den Ereignissen vom 26. Oktober 2014 in Köln sind die „Hooligans gegen Salafisten“ (HogeSa) in ganz Deutschland bekannt. 5000 Menschen waren insgesamt für diese Demonstration auf die Straße gegangen. Die Bewegung schockierte und schaffte es dadurch die Berichterstattung der Medien zumindest für einen Moment lang zu dominieren. Nicht Wenige sprachen von der größten rechtsextremistischen Demonstration in Westdeutschland seit vielen Jahren. Es war ein großer Mob, der öffentlich rassistische Parolen grölte und Polizisten, Journalisten, politische Gegner und auch Passanten unter starken Alkoholeinfluss attackierte.  Die erschreckende Bilanz liegt bei 44 Verletzten bei der Polizei unbekannten Grades und 17 festgenommenen Demonstranten. Erst nach mühseliger Arbeit löste sich die Situation gegen Abend auf.

Die Gefahr kam aus dem Netz

Doch wer sind die Menschen und was sind die Interessen, die hinter „HogeSa“ stehen und für die Bewegung auf die Straße ziehen? Die Aktionsgruppe kommt ursprünglich aus dem südwestlichen Raum der Republik. Bereits 2012 gründeten sich die sogenannten „GnuHonnters“, die sich über das Internet miteinander vernetzten. Ein Zusammenschluss von mehreren Hooligankadern aus ganz Deutschland, die sich vor allem gegen die als größtenteils politisch links angesehene Ultras-Bewegung richtete. In einigen Städten wie zum Beispiel in Aachen, Braunschweig oder Duisburg wurden die Ultras durch die Hooligans bereits aus den Kurven verdrängt.  Die Ultras trauen sich mittlerweile nicht mehr ins Stadion. Denn sollten sie es doch tun, stehen sie wieder dem puren Hass und der großen Macht der Hooligans gegenüber – die Vereine bleiben der rechten Gewalt gegenüber die Hände gebunden. Oftmals ist ihnen nichts nachzuweisen. „Dass Hooligans vernetzt sind, ist keinesfalls neu – im Gegenteil Kontakte und Beziehungen untereinander gab es schon immer“, erklärt Sportwissenschaftler Robert Claus. Die Hooligans kämpfen durch den Zusammenschluss gegen das Verschwinden ihrer selbst von der Bildfläche.

Denn auch wenn einige Gruppen die Macht in ihren Vereinen zurückerlangt haben, sind die Hooligans größtenteils aus den Stadien verschwunden. „Es wird ihnen die Spielwiese genommen. Die Sicherheit in den Fußballstadien sind nach der Weltmeisterschaft im eigenen Land deutlich gestärkt worden“, sagt Claus. Auch der Polizei stehen bessere Möglichkeiten zur Verfügung durch Überwachung und dadurch auch szenenkundigen Beamten. Der Polizei sind die Köpfe hinter den Gruppen zum großen Teil bekannt. Den Hooligans bleibt oftmals nur der Weg auf das abgelegene Feld oder in den Wald, um ihre Kämpfe untereinander auszutragen. Videos tauchen zwar hin und wieder auf, sind aber keinesfalls weit verbreitet. Diese Fights haben ihre eigenen Regeln. Hooligans, die zu Fall kommen und nicht mehr aufstehen, sind aus dem „Spiel“ und dürfen nicht weiter attackiert werden. Eine Art Ehrenkodex.

Im Hinblick auf die „HoGeSa“ entstand auf die Initiative der „GnuHonnters“ mit dem Interneforum „Weil Deutsche sich`s noch trauen“ eine fortgeführte Bewegung, die sich etwas deutlicher mit der Politik befasste. In diesem Netzwerk waren etwa 300 rechte Hooligans vertreten, die insbesondere den salafistischen Prediger Pierre Vogel zum Feindbild machten. Die Gruppe rief dazu auf gegen die Kundgebungen der Salafisten zu protestieren: „Am 23. März alle nach Mannheim in die Innenstadt!!! Den Salafisten den Vogel zeigen! Protest jetzt!“, hieß es Anfang 2014.

Tatsächlich verbünden sich eigentlich verfeindete Hooligans miteinander, um gegen das gemeinsame Feindbild anzukämpfen. Bereits in Mannheim fanden sich 200 Hooligans unter der Parole „Deutschland den Deutschen“  zusammen. Sie versuchten die Salafisten während der Kundgebung anzugreifen. Es wurden dabei Flaschen, Feuerwerkskörper und Reizgas geworfen bzw. versprüht. Die Polizei konnte 16 Personen in Gewahrsam nehmen. „Der politische Zusammenschluss der Hooligans ist neu“, erläutert Claus. „Bislang definierten sie sich als unpolitisch – Fußball ist Fußball und Politik ist Politik.“

Möglicherweise ist es das letzte Aufbäumen der Hooliganszene in Deutschland. Bis dahin hat es aber großes Aufsehen erlangt.  Die Liebe zum Verein wirkt fast sekundär, während der Hass auf den Feind wächst und zum primären Ziel wird. „Anstelle uns immer gegenseitig auf die Nase zu hauen, was auch Spaß macht, müssen wir - was Deutschland angeht - Seit' an Seit' stehen“, heißt es in den Kommentaren auf Facebook.

Feindbild Salafismus

Das Feindbild des Salafisten und insbesondere auch von Pierre Vogel ist dabei ein sorgfältig gewähltes, da sowohl der Prediger als auch der Salafismus in Deutschland eine umstrittene Rolle eingenommen haben. Das Bundesinnenmisterium definiert die Salafisten immerhin als „Verfechter eines aus ihrer Sicht ursprünglichen und unverfälschten Islams.“ Sie lehnen die westliche Demokratie ab und sehen die Scharia als islamische Ordnung mit islamistischer Rechtsprechung als einzige legitime Staats – und Gesellschaftsform an.

In Deutschland gibt es insgesamt aber nur knapp 7000 Salafisten. Noch im Mai 2012 waren es allerdings nur 2500, von denen nur 200 als Hauptakteure gelten. Bislang sind einige hundert vorwiegend Jugendliche bereits in den „Heiligen Krieg“ gezogen. „Die Gründe für die diesen schnellen Zuwuchs der Salafisten liegen in Syrien und im Irak durch die Ausrufung des Islamischen Staats“, behauptet Islamwissenschaftler Michael Kiefer. „Man kann auch mutmaßen, dass es eine Wechselwirkung zwischen HogeSa, Pegida und den Salafisten gibt.“ Dadurch, dass die Abneigung gegen Ausländer in Deutschland immer größer wird, fühlen diese sich dem Salafismus hingezogen und sind somit leichter zu beeinflussen. Wenn der Salafismus in Deutschland aber wächst, wird auch die Skepsis dem gegenüber wachsen und Bewegungen wie HogeSa oder Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) ebenfalls Zustimmung gewinnen. Ein Teufelskreislauf.

Dabei wird nicht differenziert. Häufig wird der Salafismus als Strömung des Islam mit der gesamten Religion gleichgesetzt. Der aufkeimende Hass gegen den Islam entsteht also auch aus Problemen der Aufklärung über eine Religion, die zum Teil der deutschen Kultur geworden ist. „Es ist so, dass auch nicht alle Salafisten gewaltbereit sind“, sagt Kiefer. Ein Problem ist natürlich auch die Angst der deutschen Bevölkerung vor dem Terror, die gerade nach dem Attentat auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ sehr groß ist. Der Satz „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber fast jeder islamistische Terrorist hat einen irgendwie gearteten salafistischen Bezug“ ist bekannt und schüchtert auch ein. „Die Terrorgefahr in Deutschland einzuschätzen wäre Kaffeesatzleserei – das ist einfach nicht definierbar“, stellt Kiefer fest. Solange keiner die Gefahr des Terrorismus ausschließen kann, werden auch die Furcht und das Misstrauen gegenüber den Salafisten weiterhin existieren.

Wie ist HogeSa politisch einzuordnen?

Der Experte für Rechtsextremismus, Journalist und Publizist Olaf Sundemeyer drehte im Polit-Talk bei Maybritt Illner die Perspektive. „Aus der HogeSa erwächst selbst Terror“, behauptet er. Die „HogeSa“ sehen sich selbst offiziell keineswegs als rechte Bewegung, sondern wollen eine politische Mitte bilden. Viele Demonstranten hängen sich in diesem Glauben an die Bewegung an. Sundermeyer warnt bei Illner davor: „Die HogeSa ist eine große und homogene rechtsextremistische Gruppe. Es wird nicht nur gegen Salafisten, sondern gegen den gesamten Islam gehetzt.“ In diesem Fall findet im Prinzip sogar eine Hetzkampagne gegen Millionen Deutsche statt, die dem Islam zugehörig sind. Grundsätzlich kann man nicht alle Hooligans als durchweg politisch rechts einordnen. Auch wenn Karlsruhe und Kaiserslautern sich beispielsweise nicht mögen, stehen sie für dieses gemeinsame Ziel ein. Die NPD befürwortet die „HoGeSa“ und Medienberichten zu Folge, werden auch immer wieder Funktionäre der Partei in den Reihen der Demonstrationszüge gesichtet. Ähnlich wie die Hooligans hat die Partei auf Bundeseben auch ihre Bedeutung zu großen Teilen verloren und spielt bei den Wahlen nur eine geringfügige Rolle.

Ein weiteres Indiz für die Zugehörigkeit zur rechten Szene ist der Auftritt von Hannes Ostendorf von der Band „Kategorie C“. Der Bandname leitet sich von der Kategorisierung und Bewertung von Fußballfans ab und steht für gewaltsuchend. Ostendorf ist ebenfalls Mitglied der rechten Hooligangruppe „Standarte Bremen“. Der Auftritt von der Band bei der zwanzigsten Jubiläumsfeier der Borussenfront spricht zusätzlich für ein frühes Netzwerk der Hooligans. Der Gründer der Borussenfront Siegfried Borchardt – auch bekannt als SS-Siggi – erlangte bei den Kommunalwahlen als Spitzenkandidat der Partei „Die Rechte“ ein Mandat im Stadtrat von Dortmund. Von diesem Mandat trat er zwei Monate später wieder zurück. Auch Borchardt war zuletzt bei den „HoGeSa“ in Köln gesichtet worden.

Die Zukunft der Hooligans in Deutschland

Bei einem Blick auf die Demonstrationen der „HogeSa“ in Köln und Hannover fällt in aller erster Linie eine Sache auf: „Ein großer Teil der Anhänger ist vom Alter her schon deutlich fortgeschritten gewesen“, erklärt Claus. „Das Aufsehen von HogeSa ist so gesehen auch eine Art Rekrutierungsprozess, der eine neue Generation der Hooligans aufbauen könnte.“ Auch Borchardt ist mittlerweile 52 Jahre alt.

Das dominante Bild der Hooligans im Stadion gibt es einfach nicht mehr. Statt der Hooligans sind es die Ultras, die auf den Rängen das Sagen haben. Auch wenn in einigen Vereinen es relativ gute Verhältnisse zwischen den Ultras und den Hooligans gibt, wodurch beide Gruppe auch noch auf einer Tribüne stehen können. Die Ultras sind zwar auch durchaus gewaltbereit und werden von vielen Seiten mit einem skeptischen Auge betrachtet. Statt der Faustkämpfe auf der Tribüne für den Verein sind es nun Fangesänge, die von den Ultras aufgegriffen werden und beim gesamten Stadion ihre Sympathien. Jeder Fan kennt von seinem Klub die Lieder zum Anfeuern und greift sie auf.

Für Bewegungen wie die der Hooligans sind in erster Linie Jugendliche anfällig. Gerade die Versuchung des Alkohols, die große Gemeinschaft und das Gefühl Bestandteil von etwas zu sein, könnte zu einer Angriffsfläche werden. Fakt ist: Wenn sich eine neue oder zweite Generation Hooligans entwickeln sollte, werden sie auf ganz andere Rahmenbedingungen stoßen. „Auch die Gewaltbereitschaft kann für Jugendliche eine gewisse Faszination darstellen. Es ist aber längst nicht mehr so wie in den 1980er Jahren, wo die Hooligans deutlich schwerer zu kontrollieren waren auch innerhalb des Stadions“, sagt Claus. Auch durch Todesfälle im Rahmen von Fußballspielen wie im Nordderby zwischen dem SV Werder Bremen und dem Hamburger SV oder den Tod eines Polizisten bei der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich waren die Verbände unter Druck die Sicherheitsmaßnahmen zu verbessern.

Der Duden definiert den Begriff „Hooligan“ übrigens  als „meist im Gruppenverband auftretende Jugendliche, dessen Verhalten von Randale und gewalttätigen Übergriffen bei öffentlichen Veranstaltungen gekennzeichnet ist.“ Bezieht man diese Definition auf den Fußball, so gibt es nach dieser Definition im Fußballsport keine Hooligans mehr. Die Hooligans verabreden sich nur noch abseits der Fußballspiele und somit fern ab von der Öffentlichkeit. Aus den Jugendlichen sind mittlerweile „Althools“ geworden, die sich je nach Fanszene noch in den Stadien aufhalten, aber nicht mehr den Aktivitäten vergangener Zeiten nachkommen. Die Hooligans sind darauf angewiesen mit der Bewegung Erfolg zu haben, wenn ihre Spezies in Zukunft nicht aussterben soll.

Wie zukunftsfähig ist HoGeSa?

Möglicherweise auch durch das zusätzliche Interesse den Hooliganismus in Deutschland aufrecht a<ya<yzu erhalten, bleibt das Engagement hinter der Aktionsgruppe weiterhin groß. Und das obwohl bei der zweiten Kundgebung am 15. November in Hannover nur 3000 Sympathisanten doppelt so vielen Gegendemonstranten gegenüberstanden. Auch die Polizei hat auf die Kritik und Fehleinschätzung der Situation bei dem Protest in Köln reagiert und 6600 Beamte bereitgestellt. Weitere Demonstrationen haben zwar bisher noch nicht stattgefunden, scheinen aber bei der Größe weiterhin wahrscheinlich. Zuletzt waren Kundgebungen in Berlin, Hamburg und Aachen an der Genehmigung gescheitert und auch eine geplante Demonstration in Essen musste kurzfristig abgesagt werden.

Durch die Pegida gibt es in Ostdeutschland eine zweite große Bewegung mit ähnlichen Zielen. „Das ist auch ein Grund dafür, warum bei der HogeSa nur wenige Vertreter der Ostdeutschen Vereine dabei sind“, verrät Claus. Der Sportwissenschaftlicher glaube, dass von der Aktionsgruppe noch einiges kommen wird. „Dennoch denke ich nicht, dass HogeSa als solches länger überleben wird“, sagt er. „Ich halte die Pegida für zukunftsfähiger.“ Das liege vor allem daran, dass innerhalb der HogeSa unterschiedliche Interessen aufflammen. Wofür wird demonstriert? In welcher Form soll protestiert werden? Gerade bei den unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der Gesamtgruppe könnten hier Konflikte entstehen.

Die Hooligans kombinieren ein Problem, das ihnen im Weg steht mit ihrem Überlebenskampf. Die Gesellschaft wird wieder auf sie aufmerksam – einige sympathisieren mit den Schlägern und schließen sich dem Gedankengut an. Und es ist so eben mehr als der letzte Atemzug – es ist das Vermächtnis der Generation Hooligans, die vor vielen Jahren die Tribünen der Fußballstadien dominiert haben.