Das Hamburger Sprechwerk – 160 qm reinstes Theater

Freiheit auf der Bühne

Ein Bericht von Sharik Barthel und Nico Manstein

Autoren: Nico Manstein, Sharik Barthel

Wie geht es Hamburgs freier Theaterszene? Ein Besuch im Sprechwerk 

In einer unscheinbaren Seitenstraße im Hamburger Stadtteil Borgfelde, unweit des Berliners Tors, verbirgt sich ein Gebäude mit einer blaugestrichenen Fassade: Das Hamburger Sprechwerk. Der Dramaturg Andreas Lübbers hat es 2004 gegründet, seither dient es als Bühne für das freie Theater. Im Inneren gelangt man in eine gemütliche Lobby: Besucher:innen können an einer traditionellen Holztheke Tickets kaufen, sich mit einem Getränk auf dem Sofa entspannen oder mit anderen Gästen ins Gespräch kommen, während sie auf den Beginn des Stücks warten.

 

Die Lobby des Hamburger Sprechwerks Foto: Nico Manstein

 

Der Vorführungssaal, das Herzstück des Theaters, bietet Platz für bis zu 150 Zuschauer:innen. Die Sitzanzahl variiert je nach mobiler Bestuhlung und Bühnengröße. Die rund 160 Quadratmeter große Bühne ermöglicht verschiedene Stücke, klassische Theaterinszenierungen genau wie Tanzaufführungen und Performances. Schwarze Trennwände passen die Bühnengröße je nach Darbietung an. Ein großes, gelbes Schild mit der Aufschrift „Buddy“ schmückt die linke Seite des Saals und erinnert an das gleichnamige Musical, das der frühere Besitzer Sebastian Hellwig inszenierte.  

 

 

Das Sprechwerk ist Teil der vielfältigen Kulturlandschaft Hamburgs, die neben der Elbphilharmonie über 50 Theaterstätten umfasst, darunter das Deutsche Schauspielhaus, die größte Sprechbühne Deutschlands. Die freie Theaterszene Hamburgs entstand in den 1970er Jahren und bietet künstlerische Freiheiten abseits staatlicher Theater. Sie zeichnet sich durch experimentelle, innovative und thematisch unabhängige Aufführungen aus, die oft gesellschaftspolitische Themen wie Geschlechterrollen oder soziale Gerechtigkeit aufgreifen. Unterstützt wird die Szene durch Initiativen wie „Hamburg Off“, die den Theatern bei der Vernetzung und Förderung helfen.   

Das Hamburger Sprechwerk legt in seinem Programm einen Fokus auf Uraufführungen und experimentelle Stücke. Das Portfolio umfasst Gastspiele von Schauspiel über Musicals bis hin zu Improtheater. Damit bietet das Sprechwerk freien Künstler:innen im wahrsten Sinne des Wortes eine Bühne, all ihre Stücke aufzuführen. Konstanze Ullmer, die Leiterin und Intendantin, beschreibt das Sprechwerk als „Podium für die freie Szene und als Spielort für Kulturschaffende.“ Ullmer, die 2004 mit abgeschlossenem Kulturmanagement-Studium und 14-jähriger Schauspielerfahrung zum Theater stieß, vereint in ihrer Arbeit das Organisatorische mit dem Kreativen. Nachdem sie zu Beginn unter anderem Bühnenpläne erstellte und die Öffentlichkeitsarbeit des Sprechwerks übernahm, wurde sie 2010 zu seiner Leiterin. 

 

„Ohne finanzielle Unterstützung müssen Theater sterben.“

 

Als Privattheater muss das Hamburger Sprechwerk auf finanzieller Ebene – anders als Staatstheater – auch einen Teil seiner Einnahmen selbst erwirtschaften und ist auf Ticketeinnahmen und damit Besucher:innen angewiesen. Seit 2008 gibt es aber auch finanzielle Unterstützung durch die Stadt Hamburg, die Teile der Kosten durch die institutionelle Förderung der Hamburgischen Kulturbehörde übernimmt. Die Begründung der Kommission für die jährliche Förderung war seinerzeit, die Mietstruktur erleichtern zu wollen und die Arbeit der Leitung finanziell zu honorieren. Die Förderung war und ist für Ullmer essenziell für den Fortbestand des Sprechwerks: „Ohne solche finanzielle Unterstützung müssen Theater sterben.“ Inzwischen konnte ein Großteil der Mitarbeiter:innen dank der Förderung festangestellt werden. 

Der Eingang des Hamburger Sprechwerks Foto: Nico Manstein

 

Einen Wunsch hat sie dennoch, der sowohl das Sprechwerk als auch die freie Theaterszene in Hamburg im Gesamten betrifft: „Proberäume für unser Haus und für alle anderen auch.” Vielleicht wird er bald erfüllt. Seit Beginn der staatlichen Förderung ist sie in der Hansestadt stetig gestiegen. Ullmer rechnet durch die Erhöhung des Hamburger Doppelhaushaltes mit einem weiteren Anstieg. „Wir leben auf einer Insel der Seligen”, betont sie mit Blick auf die starke Kulturförderung in Hamburg, während sie die geplante Kürzung des Kulturetats durch den Berliner Senat kritisiert: „Das ist natürlich dramatisch in Berlin. Von so viel Unwissenheit geprägt. Da schlackert man mit den Ohren!“ 

Entwicklungen wie die in Berlin und auch der Blick in Länder, deren Kulturszene bereits jetzt überwiegend privat organisiert ist, machen Ullmer Sorgen. Eine alleinige Orientierung am Markt und an Bedürfnissen von Kund:innen, also von zahlungskräftigen Besucher:innen sieht sie kritisch.  Die freie Theaterszene zeichne sich schließlich durch ihre Freiheit aus und Freiheit bedeute immer „die Freiheit der Andersdenkenden”, so Ullmer. Die Freiheit, Vielfalt zu ermöglichen, sowohl an Inhalten als auch Formaten, eine Vielfalt, mit der sie die Besucher:innen inspiriert und konfrontiert. Eine Freiheit, mit der die freie Theaterszene ihren Teil zur Demokratie beiträgt.