Nordwind-Festival - Kommentar
Berühmt, Berüchtigt und schief angeschaut
Ein Kommentar von Paulina Poerters.
Autor: Paulina Poerters
Den eigenen Mund zugenäht, um gegen die Inhaftierung russischer Musikerinnen zu protestieren. Den eigenen Körper in Stacheldraht gewickelt, protestierend vor einem russischen Regierungsgebäude. Den eigenen Hodensack an die kalten Steinen des roten Platzes in Moskau genagelt, um gegen korrupte Polizisten und Gleichgültigkeit in Russland zu protestieren. All dies sind Schlagzeilen, die nicht-russische Mediennutzer über den russischen Künstler Pjotr Andrejewitsch Pawlenski in den letzten Jahren mitbekamen. Die eigentliche Intention und Bedeutung seiner künstlerischen und kulturpolitischen Handlungen im eigenen Lande kam bisher nicht bei allen Menschen an, die auf seine aufsehenerregenden aufmerksam wurden.
Das jährliche Festival NORDWIND, welches Ende November bis Anfang Dezember 2015 in Hamburg stattfand, bietet Künstlern aus Skandinavien und Russland einmal im Jahr die Möglichkeit, ihrer Kunst ein größeres Publikum und mehr Aufsehen zu verschaffen. Auch Pjotr Pawlenski war in diesem Jahr als Künstler des Festivals eingeplant, sein tatsächliches Auftreten jedoch verhinderte er selbst durch eine neue Protestaktion gegen staatlichen Terror in Russland, bei der er die Tür des russischen Inlandsgeheimdienstes in Brand setzte.
Doch die Besucher seiner Installationen auf dem NORDWIND Festival sollten nicht umsonst gekommen sein. Seine Mitarbeiterin und Lebensgefährtin Oxana Shalygina besuchte das Festival samt Dolmetscher und dem Anwalt Pawlenskis, um den Besuchern und Interessierten Informationen und Auskunft über seine Beweggründe, Intentionen und zukünftigen Pläne geben zu können.
Die oftmals kritischen Fragen der Besucher und Interessierten beantwortete Shalygina meist rechtfertigend. So erklärte sie die Frage, warum Pawlenski sich nackt auf der Mauer einer russischen Psychiatrie ein Ohrläppchen abschnitt, sehr trocken und selbstverständlich. „Das Messer trennt das Ohrläppchen vom Körper. Die Betonwand der Psychiatrie trennt die Gesellschaft der Vernünftigen von den unvernünftig Kranken.” Auf die Frage hin, ob es schlimm für sie sei, dass ihr Lebensgefährte Pjotr derzeit im Gefängnis säße und keine Möglichkeit habe, seine Kunst auszuführen und für seine Aktionen präsent zu sein, antwortete Shalygina nur, es mache keinen Unterschied, ob Pawlenski in Untersuchungshaft säße, oder nicht, denn die bisherigen Taten ständen für sich und hielten das Interesse und die Aufmerksamkeit des Publikums stetig wach.
Pawlenski verwendet das Interesse der Öffentlichkeit an seinen künstlerischen und politisch ausdrucksstarken Aktionen als Bühne, um offen seine Meinung zu politischen Geschehnissen kundzutun. Es sei eine Bühne, um politisch aussagekräftige Kunst zur Schau stellen zu können und die Sichtweisen der Menschen anzukurbeln und sie von der dringend nötigen Änderung zu überzeugen. All diese Aktionen, die der russische Künstler bisher öffentlich ausführte, schaffen kulturelle Meilensteine in der russischen kunstpolitischen Geschichte.
Um Pawlenskis Zukunft in Russland steht es zur Zeit kritisch. Sollten die russischen Verantwortlichen seine Tat, die Tür des russischen Inlandsgeheimdienstes in Brand zu stecken, als einen terroristischen Akt ansehen, würde ihm eine langjährige Freiheitsstrafe drohen. Laut seiner Partnerin Shalygina jedoch kann jegliche Entscheidung seiner Strafe für ihn nur positiv ausfallen. „Durch eine Verurteilung von Pjotr würde die Bevölkerung Russlands sehen, welche Macht die Regierung hat, ohne wirklich auf triftige Beweise hinweisen zu müssen. Pjotrs Anwalt ist in diesem Sinne ein weiteres Kunstmaterial, mit dem er sich der Unterdrückungspolitik ein wenig entgegensetzen kann. Durch den gesamten Prozess können wir das Grinsen der Macht, welches die Politiker für die Öffentlichkeit ausgesetzt haben, sichtbar machen und ausdrücken, wie die Bevölkerung unseres Landes unter ihrer Hand steht.“ In diesem Sinne verkörpert Pjotr Pawlenski eine alternative Form der Propaganda gegen den eigenen Staat. Der Künstler möchte alle Menschen, die seine Werke sehen, zum Nachdenken anregen. Durch für viele Menschen eher fragwürdige Art und Weisen stellt er sich gegen die Politik Russlands und versucht, für Freiheit zu kämpfen.
Zugenähte, stumme Lippen. Ein in Stacheldraht gefangener, wehrloser Körper. An den Boden genagelte Hoden, unbeweglich. Freiheit stellt sich auf anderen Wegen da. Und genau das möchte Pjotr Pawlenski den Menschen zeigen.
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