Nordwind-Festival - Portrait Andrej Kuzkin
Ein Vermächtnis, das um die Welt geführt wird
Ein Beitrag von Paulina Poerters.
Autor: Paulina Poerters
Ein kalter Sonntagnachmittag an der Hamburger Binnenalster. Während im Hintergrund die gemütliche Kulisse des Weihnachtsmarktes am Jungfernsteig einen harmonischen Eindruck bietet, spielt sich am Ufer vor der Lombardsbrücke ein eher ungewöhnliches Spektakel ab. Der russische Künstler Andrej Kuzkin stellt an diesem Sonntag im Rahmen des jährlichen Kultur-Festivals NORDWIND eine ungewöhnliche Form der Performance-Kunst für die neugierigen Zuschauer zur Schau.
Schon nach wenigen Minuten kommen immer mehr und mehr Schaulustige zu dem kleinen Stück Wiese, in das bereits ein Loch gebuddelt und mit Styropor ausgelegt wurde. Innerhalb weniger Augenblicke erkennt der Zuschauer den Hauptdarsteller dieser Darbietung, Andrej Kuzkin. Ein junger Mann, dunkelhaarig und mit durchschnittlicher Statur, der sich neben einer Bank am Alsterufer hastig auszieht, um dann mit vorsichtigen, barfüßigen Schritten zu dem Loch zu laufen und sich kopfüber in dieses hineingleiten zu lassen. In dieser Position, kopfüber stehend und das Gleichgewicht haltend, während alle Körperteile abwärts der Brust in die Luft gestreckt sind, verweilt der 36-Jährige Künstler für etwa eine halbe Stunde.
Nach seiner Performance hastet er zurück zu der Bank, wo seine Lebensgefährtin samt warmer Kleidung auf ihn wartet und genehmigt sich zu allererst einen großzügigen Schluck klaren, russischen Wodka. Ein klischeehafter Russe, könnte man sagen, doch wer ist dieser Mann? Wer ist Andrej Kuzkin, wo kommt er her und mit welcher Intention verübt er an den verschiedensten Orten der Welt die Darbietung „99 Landscapes with Trees “, zu welcher auch seine Inszenierung an der Hamburger Alster gehört?
Andrej Kuzkin wurde 1979 in Moskau geboren und schloss 2001 sein Studium an der Moscow State University of Printing Arts ab. Das Projekt „99 Landscapes with Trees“ oder auch „The Phenomenon of Nature“ genannt, ist sein bisher wohl langwierigstes Projekt. Es ist eine künstlerische Serie von Performances, die Kuzkin von seinem Vater übernahm und so lange fortführen möchte, bis er sich an 99 verschiedenen Orten kopfüber in die Erde eingebuddelt und in dieser Position dort für eine geraume Zeit verweilt hat, während seine Partnerin Momentaufnahmen davon einfängt. „Mein Vater war ein Künstler und starb sehr jung, ich will sein Projekt weiterführen und später zu einem Film zusammenführen, aber auch als Fotografie-Kunstwerk ausstellen.“ Eine Tradition, die der eigene Vater noch vor seinem Tod begann. Diese weiterzuführen, ist eine emotionale Erinnerung und Würdigung an und für seinen Vater, so Kuzkin. Durch seine Kunst in diesem Projekt drückt Kuzkin eine Verbindung aus, die auch durch den Tod nicht gebrochen werden kann, er tritt in die Fußstapfen seines Vaters. „Ich möchte die Fotos meiner Darbietungen aus 99 Landscapes aussehen lassen wie Postkarten von den jeweiligen Orten, sodass es unverkennbar ist, wo ich meine Kunst ausgeführt habe und die Leute sehen, wie viel Aufwand ich für meine Darstellungen betreibe“, erzählt der 36-Jährige angeregt. Während des gesamten Interviews wirkt Andrej Kuzkin sichtlich zufrieden und zudem entspannt, scheint sich der Aufmerksamkeit der Leute bewusst zu sein und genießt es, seine Darbietung in der Eiseskälte des Dezember-Sonntages performt zu haben. Der Künstler scheint sich im Klaren zu sein, welchen Eindruck er bei unerfahrenen, nicht an Performance-Kunst Interessierten hinterlässt.
Während der Darstellung Kuzkins, in der die Zuschauer ihn dabei beobachten, wie er nackt und kopfüber in einer Wiese am Alsterufer steckt, geht ein Radio Reporter des NDRs durch die Menschenreihen und stellt die provokante Frage „Ist das Kunst, oder kann das weg?“. Viele der Zuschauer reagierten belustigt, nahmen Kuzkins Performance als ungewöhnlich komisch auf und erzählten dem Reporter angeregt von ihren Eindrücken. Einige jedoch, die bereits bei mehreren Veranstaltungen des NORDWIND Festivals waren, welches jährlich Künstlern aus skandinavischen und nordischen Ländern eine Plattform für ihre Kunst gibt, reagierten empört und ließen es nicht zu, dass die Darstellung des Russen als komisch dargestellt wurde.
Es ist also eine Diskussion zwischen dem ersten Eindruck, den ein Neuling auf dem Gebiet der Kunst-Performance mitnimmt und dem individuellen Begriff der Kunst, den jeder Zuschauer für sich selbst versteht. Was Andrej Kuzkin in seiner Performance „99 Landscapes with Trees“ ausmacht, ist sein selbstbewusstes Auftreten während der gesamten Darbietung, die Überzeugung, die hinter seinem Handeln steht und seine Beweggründe, die Kunst des eigenen Vaters fortzuführen und ihr ein größeres Publikum auf der ganzen Welt zu verschaffen.
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