Nordwind-Festival - Rezension
„Hätte er nicht einfach ein Gedicht schreiben können?“
Eine Rezension von Lena Rüdiger.
Autor: Lena Rüdiger
Pjotr Pawlenski ist ein Künstler der ganz besonderen Art. Mit seinen gewagten und meist schockierenden Ausdrucks-Performances ruft der Darsteller jedoch unterschiedliche Reaktionen hervor.
Ende November konnten sich nun auch Interessierten der Hansestadt Hamburg bei seiner Ausstellung „Figures of Silence“ beim Nordwind-Festival eine eigene Meinung über den Künstler bilden.
Das Nordwind-Festival findet dieses Jahr zum dritten Mal statt. Einmal im Jahr öffnet die Spielstätte Kampnagel für diese Veranstaltungsreihe ihre Pforten. Das Festival lädt internationale Künstler aus den skandinavischen und nordischen Ländern ein, ihre Performances, Klanginstallationen oder Theaterstücke zu präsentieren. Dieses Jahr wurde der Fokus erstmals erweitert, sodass auch Russland und deren Künstler zum Blick- und Brennpunkt der Veranstaltung hinzugefügt wurden.
Der Künstler Pjotr Pawlenski ist in Russland bereits ein bekannter Aktivist und Aktionskünstler. Durch viele seiner Performances sorgt er nicht nur für Aufsehen, sondern auch weltweit für Schlagzeilen. Die Meinungen über den doch sehr eigenwilligen Künstler scheiden jedoch die Geister.
Erstmalige Bekanntheit erreichte der aus Leningrad stammende Künstler und politische Aktivist im Sommer 2012 dadurch, dass er sich seinen Mund in aller Öffentlichkeit zu nähte, um gegen die Inhaftierung der Punk-Rock-Band Pussy Riot zu protestieren. Doch damit nicht genug. Dass der Künstler vor Blut und Schmerzen nicht zurückschreckt wurde spätestens Ende 2013 bei seiner bisher schockierendsten Aktion deutlich, als er sich seinen Hodensack auf dem Roten Platz in Moskau in Pflasterstein nagelte. Sinn und Zweck dieses schmerzhafte Statement ist es, um „auf die korrupte Polizei und die Gleichgültigkeit des Staates aufmerksam zu machen“, so Pawlenski. Nicht das erste Mal wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Hooliganismus gegen den 31-jährigen in die Wege geleitet. Aufsehen erregte der Russe ebenfalls, als er sich splitterfasernackt auf das Dach der Psychiatrie des Botinskij-Krankenhauses setze und sich vor den Augen der Öffentlichkeit mit einem Messer ein Ohrläppchen abschnitt, regungslos auf dem Dach verweilte und das Blut seinen Körper herunter fließen ließ.
Seine Ehefrau und Mitarbeiterin Oksana Shalygina kommentierte die Tat auf Facebook mit: „Das Messer trennt das Ohrläppchen vom Körper. Die Betonwand der Psychiatrie trennt die Gesellschaft der Vernünftigen von den unvernünftig Kranken." Ein Statement, das sich verschieden auslegen lässt. Eindeutig war jedoch Beschluss der russischen Justiz, die Pjotr Pawlenski die Ausreise aus dem Land zu verweigern, da er Anfang November die Eingangstür des russischen Geheimdienstes in Brand setzte. Pawlenski wurde daraufhin festgenommen und konnte nicht persönlich an der Veranstaltung beim Nordwind Festival teilnehmen. Stattdessen reiste seine Frau in die Hansestadt, um der Veranstaltung und der anschließenden Podiumsdiskussion beizusitzen.
Ich war also sehr interessiert, mehr über den Mann und die Hintergründe seiner Kunst herauszufinden. Bei seiner Ausstellung „Figures of Silence“ am 27. November 2015 war ich jedoch zu tiefst schockiert und verärgert. Als ich den Raum betrat, tummelten sich bereits viele Interessiere und Schaulustige auf den zahlreichen Sitzmöglichkeiten vor der kleinen Bühne. Einzig von seinen Video-Installationen aus bewachte Pawlenski die Ausstellung. Diese zeigten ihn nackt in Stacheldraht eingerollt sowie auf dem Psychiatriedach sitzend – blutend natürlich. Polizei- und Arztberichte waren an den Wänden ausgestellt und dienten dem Besucher als „Hintergrundlektüre“. In wie weit dieses Hintergrundwissen jedoch sinnvoll ist, ist in meinen Augen äußerst fragwürdig. Polizei sowie Ärzte bestätigten im Fachjargon nur noch einmal das eigene Bild, welches man durch die Ausstellung von Pawlenski bekommen hat: Das eines psychisch gestörten Mannes, der seinen Körper öffentlich, abseits von jeglichen Schmerzgrenzen, verstümmelt. Die künstlerische und politisch wachrüttelnde Funktion rückt für mich in den Hintergrund, da die Taten zu verstörend und grausam sind, um ihnen unter künstlerischen oder ästhetischen Aspekten Beachtung zu schenken.
In der anschließenden Podiumsdiskussion sollte ein Diskurs über die Kunst Pawlenskis stattfinden. Eine wunderbare Idee des Veranstalters, da sich für viele Besucher die ein oder andere Frage aufwarf. Oksana Shalygina, die Frau und Mitarbeiterin Pawlenskis, hat dafür jedoch kein Verständnis und antwortet Besuchern sowie Podiumsgästen mit bissigen, fast garstigen Antworten. Auf direkte Fragen stellt sie lieber Gegenfragen, als darauf einzugehen. Wenn sie ihr Kunstverständnis weiterhin so auslebt, wie sie es kommuniziert, muss sie sich über Häme, Unverständnis oder eine psychiatrische Zwangseinweisung nicht wundern. Neben ihrer sehr eigenen Art mit Ausstellungsgästen umzugehen, fläzt sich Frau Shalygina in Sessel wie ein ungezogener Teenager und spielt gelangweilt mit ihren T-Shirt Ärmeln herum. Gelangweilt vom Fußvolk, das ihre Kunst und die ihres Mannes nicht versteht. Vielleicht ist ihre Ausdruckslosigkeit und offensichtliche provozierende Art jedoch auch nur ein weiterer Teil der Ausstellung. Sie in ihrer Person spiegelt die Intention ihres Mannes so treffend wieder, dass es schon erschreckend ist. Wie ihre Kunst.
Auf die Frage, ob Pawlenski zu irgendeiner Zeit seiner öffentlichen Verstümmelung unter medizinischen oder anderweitigen Einflüssen stand, entgegnete sie: „Nein, für ihn ist das normal. Ihm tut das nicht weh.“ Das Video- und Bildmaterial vermittelt dem Besucher jedoch ein anderes Bild. Für Dr. Roebers, Facharzt für Sport- und Allgemeinmedizin, steht fest: „Wie auch alle anderen Menschen wird Herr Pawlenski bei seinen Taten Schmerzen verspüren. Es ist jedoch möglich, dass er den Schmerz verdrängt oder auch eine Art Befriedung dabei empfindet, wenn er seinen Körper verstümmelt. Ähnlich ist es bei Bulimikern und Menschen die sich ritzen. Für sie ist es eine Art Erleichterung oder auch Befreiung. Vergleichbares könnte ich mir bei Herrn Pawlenski ebenfalls vorstellen. Schmerzbefreit ist er keines Falls, ich würde ihn als psychisch sehr labil einschätzen, mit einem Hang zur Selbstverletzung, um Aufmerksam zu generieren. Ein sehr fragliches Verhalten.“
Für viele ist dieses Verhalten ebenfalls sehr zweifelhaft und beängstigend. Was jedoch durch sein Handeln mehr als deutlich wird, ist, dass Pjotr Pawlenski für seine „Kunst“ und seine Proteste gegen die russische Politik jegliche Schmerzgrenzen überwindet.
Ich frage mich am Ende dieses Abends nur: „Hätte er nicht einfach ein Gedicht schreiben können?“
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