Nordwind-Festival - Rezension
Öl für die Welt
Vorm Eingang des K9, der Bühne, auf der gleich das Performance Stück “Black Marrow” zu sehen sein wird, sind kleine Flechtkörbe prall aufgefüllt mit Einmal-Ohropax. Es schreit förmlich: „Nimm es. Glaub mir, du wirst es brauchen!“. Und tatsächlich: In dem von der bekannten, isländischen Choreografin Erna Ómarsdóttir, in Kooperation mit dem Franzosen Damien Jalet, inszenierten Stück, gibt’s nicht nur was zu sehen, sondern auch zu hören.
Autor: Maike Reiß
„Schwarzer Kern“ nennt sich die Aufführung übersetzt. Erste Interpretationsmöglichkeiten werden gleich am Anfang, beim Erscheinen des Bühnenbilds, gestoppt. Alles ist mit schwarzer Folie ausgelegt. An den Rändern des Podests liegen gefüllte, schwarze Müllsäcke. Der Beginn des Stücks wird mit lauten, sphärischen Klängen eingeläutet. Das einzig Helle auf der Plattform ist ein fleischfarbener Haufen, der durch die eher spartanisch gehaltene Beleuchtung, nicht gleich zu Anfang erahnen lässt, dass es sich hierbei um einen der Darsteller handelt. Erst als ein Lichtstrahl auf diesen fällt und das inzwischen aufdringlich laute Surren abrupt von einem Tiergebrüll und Gefauche begleitet wird, beginnt der geduckte, mit dem Rücken zum Publikum gehockte Körper, sich zu bewegen. Unnatürlich scheinendes Rollen der Schulterblätter im Takt zu den weiter währenden, animalischen Geräuschen.
Ben Frost hat ganze Arbeit geleistet. Der Australier fertigte das Gemisch von Klängen eigens für Black Marrow an. Gebannte, starre Blicke zur Bühne. Eine Mischung aus Angst, Erstaunen und Ungläubigkeit. Horrorfilmähnliche Szenen spielen sich zu seinen kontrastreichen Lauten ab. Auf Bandcamp, einer Online-Plattform für unabhängige Künstler, beschreibt er seine Musik als „Classic Minimalism as by Punk Rock and Metal“. Wenig aussagekräftig, wenn man sonst eher der Typ für Radiomusik ist. Er schreibt, dass sich seine Musik durch vergessene Formen, die oftmals von konventionellen Strukturen gescheut werden, auszeichnet. Anhand der Inszenierung mit Ómarsdóttir sieht man auch warum: Die Musik ist beeindruckend. Trotzdem sehr ungewöhnlich und nicht unbedingt das, was man mit moderner Disco-Musik vergleichen würde.
Trotz der Ungewöhnlichkeit, die die Performance aus Ballett, einem maschinellen Tanzstil und ein bisschen Theater in Gruppendynamik umgibt, hat die Inszenierung einen gewissen Charme. Einen drastischen, ohne Frage. Die Künstler wenden und beeinflussen sich gegenseitig. Krumme Bewegungen, die weder elegant, noch menschlich aussehen, verändern stetig die aufrechte Haltung der Tänzer. Das Stück ist in seiner Gesamtheit in zwei Rhythmen aufgeteilt: Entweder sind alle Tänzer im Einklang und Tanzen eine Form von Popping, oder bewegen sich jeder verschieden, in Tierartigen Haltungen, die sich zwischendurch mit Theater paart.
Der Ton bringt die Herzfrequenz vom Keller in den Himmel und gleich danach in die Hölle. Mehr als einmal zwingt Frost seine Zuschauer somit, am Ball zu bleiben. Die stringente Spannung hat aber nicht nur den Zweck, die Aufmerksamkeit konstant zu halten, sie soll auch drastisch die Ernsthaftigkeit des eigentlichen Themas hervorheben: Erdöl.
Ein essentieller Klang, der das Stück begleitet, ist der von Maschinen. Metallenes Arbeiten im gleichen Takt. Die Mechanisierung der Welt erhebt sich auf der Bühne metaphorisch durch synchrone Bewegungen der Darsteller in ihrer rohen Unterwäsche. Im Laufe der über 90-minütigen Performance sind diese gruselartig aus den schwarzen Müllbeuteln gekrochen und arbeiten ihren Tanz, im Klang der Maschinengeräusche, wie ein Uhrwerk ab.
Das Rohöl wird als Ursprung alles Böse dargestellt. Zwar singen und tanzen die Darsteller zwischendurch ganz verzückt, und doch wird kurz danach erneut klar: sie sind nur das Medium der Message: Die Gesellschaft verkommt. Wohlstand und Egoismus des eigenen Befindens schwingen sich bald schon um, in eine Art Ankündigung der fatalen Folgen: Aufgereiht auf dem Boden liegend und lediglich zuckend zu den Piepgeräuschen einer Beatmungsmaschine, wie man sie aus Krankenhäusern kennt, zeigen die Tänzer sich in einem düsteren Licht.
Das diskutierte Thema des Öls ist sicherlich von jedem subjektiv aus einem persönlichen Blickwinkel zu betrachten. Zuschauer die denken, ihnen würde eine Meinung aufgezwängt werden, lassen sich aller Wahrscheinlichkeit nach ohne Widerstand beeinflussen und haben ihr Augenmerk etwa weniger auf die Kunstform an sich gerichtet. Die gefühlvollen Szenen, die Ómarsdóttir gekonnt inszenierte, wären jedoch wenig beeindruckend, würden sie nicht von Frosts kontroversen Klängen begleitet werden. Eine länderübergreifende Produktion lädt ein, zu einem Wechselbad der Gefühle, das wohl vor allem Leuten, die auch ohne Happy End leben können, entspricht.
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