Story

,,Grab them by the pussy.’’

Autoren: Amélie Schroeder, Paula Dieker

Sich alles erlauben zu können, aus dem simplen Grund, berühmt zu sein. Keine Konsequenzen für Taten tragen zu müssen, das ist für Normalsterbliche eine utopische Vorstellung. Für Donald Trump jedoch nicht. Für Trump ist das seit Jahren pure Realität.  

“You know I'm automatically attracted to beautiful — I just start kissing them,” sagte Donald Trump in dem berühmt berüchtigten Access Hollywood Tape 2005, das 2016 an die Öffentlichkeit gelangte.  “It's like a magnet. Just kiss. I don't even wait. When you’re star, they let you do it. Grab them by the pussy. You can do anything.” 

Billy Bush, der damals das Format Access Hollywood moderierte, bekam die Konsequenzen für sein Verhalten während des Interviews zu spüren und wurde gefeuert. Und Trump? Der verharmloste den Skandal als locker room talk. Denn als Star kann man sich schließlich seinen eigenen Worten nach alles erlauben.

Doch genau das ist dem ehemaligen Präsidenten der USA seit dem 20. Januar 2021 nicht mehr möglich. So gemütlich es sich Trump in den letzten vier Jahren seiner Amtszeit im Weißen Haus eingerichtet hat, so ungemütlich könnte es dann für ihn werden. Wenn er das Haus in der Pennsylvania Avenue hinter sich lässt, schützen ihn die Weißen Mauern nicht mehr vor den Anklagen, Strafen und Folgen.

Grund für die Unannehmlichkeiten sind die Anklagen, denen sich Trump stellen muss. Diese reichen von Betrug in großem Stil über Steuerhinterziehung zu Schweigegeld, das geflossen sein soll.  Besonders schwer wiegen die unzähligen Anschuldigungen von sexueller Belästigung bis hin zum Vorwurf der Vergewaltigung.  Die Liste der Frauen, die Präsident Trump sexuell belästigt oder vergewaltigt haben soll, ist über einen Zeitraum von 30 Jahren erschreckend gewachsen. Doch Trumps Wort steht weiterhin gegen das von unzähligen Frauen. Und das hat scheinbar, durch seinen Status als Präsident der Vereinigten Staaten und reicher Baulöwe, vor Gericht mehr Gewicht. Kann man da noch von Gerechtigkeit sprechen? 

Foto: Unsplash / Roya Ann Miller
 

Anmerkung der Redaktion: Im folgenden Abschnitt geben wir Donald Trump bewusst keinen Raum, sich zu erklären und alternative Fakten darzulegen. Die Frauen stehen im Mittelpunkt, denn er hat es lange genug geschafft, sie mundtot zu machen und ihre Vorwürfe vor aller Welt in Grund und Boden zu stampfen. 

E. Jean Carrol

,,Im nächsten Moment,… öffnete er seinen Mantel und den Reißverschluss seiner Hose und zwängte seine Finger um meinen Intimbereich und stoß seinen Penis halb – oder ganz, da bin ich mir nicht ganz sicher – in mich hinein.‘‘ 

Die ehemalige Kolumnistin der Elle wirft Trump vor, sie in den 90er Jahren in der Umkleidekabine eines New Yorker Kaufhauses vergewaltigt zu haben. Bislang bestreitet Trump, dass es zu der Vergewaltigung gekommen sei. ,,Ich bin dieser Person noch nie in meinem Leben begegnet. Sie versucht ihr neues Buch zu verkaufen- das sagt doch schon alles aus. Es sollte in der Fiction-Abteilung verkauft werden.’’  2019 klagte Carroll wegen Verleumdung. 

Ivana Trump  

,,Zu dem Ereignis kam es 1989, als Herr Trump und ich unseren ehelichen Verpflichtungen nachgehen wollten, verhielt er sich mir gegenüber sehr anders als dass der Fall während unserer Ehe war. Als Frau fühlte ich mich verletzt, da die Liebe und Zärtlichkeit, die er mir normalerweise bot, nicht vorhanden waren. Ich berichte hier von einer ,,Vergewaltigung’’, allerdings möchte ich nicht, dass meine Worte buchstäblich und in einem kriminellen Kontext interpretiert werden.’’ 

15 Jahre waren Donald und Ivana Trump ein Ehepaar, bis die Affäre von Donald und Marla Maples ans Licht kam. 1990 kam es zur Scheidung des ehemaligen glamourösen Paar des Big Apples. Während des Rosenkrieges sagte Ivana unter Eid aus, dass Trump sie ein Jahr zuvor 1989 während eines Wutanfalls vergewaltigt hat. Allerdings revidierte Ivana ihre Aussage zu einem späteren Zeitpunkt und sagte, dass ,,sie sich als Frau verletzt gefühlt habe, aber dass die Anschuldigungen unbegründet seien.’’ Trump bestreitet vehement, dass dieser Vorfall je stattgefunden hat.  

Jessica Leeds 

,,Er war wie ein Oktopus, seine Hände waren überall. Es war ein Übergriff. ‘‘ 

So beschreibt Leeds in einem Interview mit der New York Times ihre Begegnung mit Trump auf einem Flug in den frühen 80ern.  
Auf dem Flug von Connecticut nach New York wurde der Geschäftsfrau Leeds ein Platz in der ersten Klasse angeboten. Sie nahm neben Donald Trump Platz, den sie bis dahin noch nicht kannte. Nach ein wenig Plauderei soll Trump die Armlehne auf einmal hochgeklappt und sich auf Leeds gestürzt haben. Er soll sie begrapscht und geküsst, ihr an die Brüste gefasst und unter ihren Rock gegriffen haben.  Zu perplex, um zu reagieren, flüchtete Leeds zurück in die Economy-Class. Trump entgegnete auf die Anschuldigungen, ,,dass sie nicht seine erste Wahl‘‘ wäre.  Drei Jahre später begegneten sich Trump und Leeds ein weiteres Mal auf einer Spendengala in New York. Leeds sagte in einem Interview bei Megyn Kelly Today, Trump hätte sie erkannt und gesagt ,,Ich erkenne dich, du warst die Fotze aus dem Flugzeug‘‘.  Trump bestreitet, dass dieser Vorfall je stattgefunden hat. Seine Anwälte forderten die New York Times dazu auf, die Story zu entfernen, sonst würden sie klagen. Die Story ist nicht verschwunden und geklagt wurde auch nicht. Direkte Zeugen gab es keine. Das Weiße Haus reagierte und versuchte, mit einem angeblichen Augenzeugen gegen den Vorwurf zu wirken. Dieser entpuppte sich allerdings zu einem späteren Zeitpunkt als notorischer Lügner. 

Natasha Stoynoff

,,Wir betraten den Raum alleine und Trump schloss die Tür hinter uns. Ich drehte mich um und innerhalb weniger Sekunden drückte er mich gegen die Wand und drängte seine Zunge in meinen Rachen.‘‘ 

2005 bereitete sich Natasha Stoynoff in Mar-a-Lago, die als Journalistin für das People Magazine schreibt, auf ein Interview mit Donald Trump und seiner zu diesem Zeitpunkt schwangeren Frau Melania vor. Melania ließ die Beiden kurz alleine, da sie sich umziehen wollte. Trump schlug Stoynoff eine Hausführung vor und führte sie daraufhin in einen abgelegenen Raum, wo er sich dann über sie hermachte.  Als Trump während seiner Kampagne zur Präsidentschaftswahl in Florida auf den Vorwurf angesprochen wurde, entgegnete er ,,schaut sie euch an... ich denke nicht.’’ 

Summer Zervos 

,,Trump fing an, mich mit geöffnetem Mund zu küssen. Dann küsste er mich nochmal, aggressiver, und fasste mir dabei an die Brust.‘‘  

Die ehemalige Teilnehmerin an Trumps TV-Show ,,The Apprentice‘‘ beschuldigte Trump 2016, sie neun Jahre zuvor während eines Treffens im Beverly Hills Hotel, sexuell belästigt zu haben. Zervos versuchte aus den Schlingen Trumps zu entkommen, schaffte dies allerdings nicht.  Er habe sie an der Hand ins Schlafzimmer gezogen und sich auf sie geworfen. Nachdem Summer Zervos Donald Trump wegen sexueller Belästigung verklagte, stritt dieser die Vorwürfe energisch ab und behauptet, er habe ,,Zervos niemals in sein Hotelzimmer eingeladen“ und dass die ,,Vorfälle niemals stattgefunden“ hätten. Daraufhin verklagte Zervos Trump erneut, diesmal auf Verleumdung.  

Foto: Unsplash / Chris Boese
Foto: Unsplash / Chris Boese

27 Namen. 27 Frauen. 27 Vorwürfe wegen sexueller Belästigung und Vergewaltigung.  

Ivana Trump, Jill Harth, E. Jean Carroll, Summer Zervos, Alva Johnson, Jessica Leeds, Kristin Anderson, Lisa Boyne, Cathy Heller, Temple Taggart McDowell, Karena Virginia, Karen Johnson, Mindy McGillivray, Jennifer Murphy, Rachel Crooks, Natasha Stoynoff, Juliet Huddy, Jessica Drake, Ninni Laaksonen, Cassandra Searles, Mariah Billado, Victoria Hughes, Bridget Sullivan, Tasha Dixon und Samantha Holvey  

Diese 27 Frauen sind in die Öffentlichkeit getreten und haben Vorwürfe gegen den mächtigsten Mann Amerikas erhoben. Vorwürfe, die sich nicht so leicht als FAKE NEWS wegwischen lassen. Dennoch versucht Trump genau das seit Jahren. Mit einer Kraft und Hingabe, die man sich bei anderen politischen Angelegenheiten gewünscht hätte, wehrt er jede Anschuldigung ab. Trump leugnet Begegnungen, trotz Beweisen von vorliegenden Bildern und aussagenden Zeugen.  Julian Dörr ist freier Journalist und schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung. In seinem Artikel ,,Sexualisierte Gewalt: Mythos der Falschbeschuldigung’’ beleuchtet er, weswegen man Frauen, die diesen Schritt wagen und das Risiko in Kauf nehmen, ihr Leben lang als ,,Hysterikerinnen’’ abgestempelt zu werden, Glauben schenken muss. 

Trump verfing sich immer wieder in einem Gestrick aus Lügen, Frauenfeindlichkeit und Misogynie. Und darauf reagierten unzählige Menschen nicht einmal 24 Stunden nach seiner Amtseinführung. Am 21. Januar 2017 protestierten sie Schulter an Schulter überall auf der Welt auf den women’s marches für Frauen- und Menschenrechte.  Ein Meer aus selbstgestrickten, knallpinken Wollmützen versammelte sich auch in Washington vor dem Weißen Haus.  Stricken gegen Donald Trump und sein Lügengeflecht! Das war die Mission des ,,Pussy hat project”, welches auf die Frauen- und Minoritäten feindliche Rhetorik, die während der Wahlen in Amerika genutzt wurde, aufmerksam machen wollten. Die Pussy-Mütze als wolliger Gegenwind gegen das frauenverachtende Gerede von Trump.  

Interview mit O’Brien Welsh 

Die Recherche ging über den Atlantik hinweg bis nach New York zu dem Political Sciences Absolventen O’Brien Welsh. Der 26-Jährige lebt mittlerweile in Utrecht und arbeitet als Editor für das Human Rights Magazine. Trump agierte die letzten vier Jahre geschützt unter dem Deckmantel der Immunität. Doch was blüht Trump, wenn er am 20. Januar 2021 das Weiße Haus verlässt und damit den Deckmantel mit all seinen Rechten und Privilegien an Biden weiterreicht? Auf diese Frage findet O’Brien Welsh im Interview mit den Autorinnen dieses Artikels eine Antwort.  

Gibt es ein geschriebenes Gesetz, das dem amtierenden Präsidenten die Immunität gewährt? Oder ist dies bloß gang und gäbe? 

Donald Trump genießt absolute Immunität vor zivilrechtlichen Schäden und Haftung für seine Amtshandlungen als Präsident. Die Gründer der US-Regierung haben in der Verfassung nie eine Bestimmung vorgesehen, die den Präsidenten ausdrücklich immunisiert.  
Nach dem Nixon vs. Fitzgerald Fall im Jahr 1982 entschied der Oberste Gerichtshof allerdings, dass die Immunität in der Verfassung festgehalten werden sollte und dem amerikanischen Präsidenten damit gewährleistet sein soll.  

Warum muss ein Präsident vor zivilrechtlichen Anklagen geschützt werden? 

Wenn jeder Regierungsbeamte in der Lage wäre, den Präsidenten zu verklagen, würde dies seine Fähigkeit behindern, Entscheidungen schnell, zügig und im "besten Interesse des Landes" zu treffen. Dies würde seine Macht als Chef der Exekutive neutralisieren und die Justiz überfordern.  Er steht jedoch NICHT über dem Gesetz. Dennoch kann der Präsident, wenn er in INOFFIZIELLEM Interesse handelt, auf zivilrechtlichen Schadensersatz verklagt werden. 

Gab es in der Vergangenheit bereits einen Fall, in dem ein Präsident offizielle Grenzen überschritten hat? 

Dies war der Fall bei Clinton gegen Jones im Jahr 1997. Jones behauptete, dass Präsident Clinton, als er Gouverneur von Arkansas war, einige unangemessene sexuelle Annäherungsversuche und Belästigungen unternahm. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass der Präsident keine Immunität vor zivilrechtlicher Schadensersatzhaftung für Handlungen in seiner persönlichen Eigenschaft genießt.  Frau Jones konnte Herrn Clinton verklagen und das Gericht entschied zu seinen Gunsten. Dies öffnete jedoch die Schleusen für den Monica-Lewinsky-Skandal und die anschließende Amtsenthebung von Herrn Clinton.  

Vor welchen Anklagen schützte die Immunität Donald Trump während seiner Amtszeit im Weißen Haus? 

Donald Trump ist wegen Amtsmissbrauch und Behinderung der Justiz angeklagt worden. 2019 versuchte er, finanzielle Militärhilfe zurückzuhalten, um die Ukraine dazu zu bringen, Untersuchungen gegen Joe Biden einzuleiten. Diese Untersuchungen sollten Beweise gegen eine Verschwörungstheorie zu Tage bringen, die untermauern, dass die Ukraine sich 2016 in die amerikanischen Wahlen eingemischt hat. Diese Theorie wurde widerlegt. Daraufhin wurde ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet, allerdings wurde er nicht aus dem Amt entfernt.  

Joe Biden wird am 20. Januar vereidigt werden und damit verliert Donald Trump endgültig allen Schutz und alle Privilegien, die ein Präsident genießt. Was hat dies für Folgen für ihn, besonders im Hinblick auf die Anschuldigungen sexueller Belästigung?  

Wir wissen ja, dass er einen einzigartigen Schutz gegen strafrechtliche und zivilrechtliche Anklagen genießt, aber jetzt da er die Wahlen 2020 verloren hat, wird er wieder zum normalen Bürger. Das ist wahrscheinlich auch ein weiterer Grund, warum er das Amt um keinen Preis aufgeben will und deswegen sogar den Ansturm auf sein eigenes Kapitol angeheizt hat. Angesichts der Vielzahl an Anschuldigungen der sexuellen Belästigung hat er sich nicht nur hinter seiner Immunität versteckt, sondern sein Amt als Präsident missbraucht, um einer Anklage zu entkommen. Er hat die Vorwürfe wieder von sich gewiesen und sie als Fake News und politische Hetzkampagne abgetan. Jetzt, da er gehen wird, hat E. Jean Carroll die Möglichkeit, den Fall gleich am 20. Januar 2021 neu aufzurollen und eine Untersuchung der DNA auf ihrem Kleid, das sie damals während der Vergewaltigung getragen haben soll, zu beanspruchen.  

Glauben Sie persönlich, dass Mike Pence oder Joe Biden Donald Trump begnadigen werden? 

Joe Biden steht unter enormen Druck, Trump für Handlungen zu belangen, die er als Präsident vorgenommen hat. Wir wissen jedoch nicht, ob er das tun wird, und es ist schwer vorauszusagen. Kein Ex-Präsident wurde von einem amtierenden Präsidenten in der Geschichte der USA jemals angeklagt. Biden betonte, dass er die Entscheidungen, ob er der Erste sein wird, dem zuständigen Justizministerium überlassen möchte.

Der Ball kam nach dem Harvey-Weinstein-Skandal 2017 ins Rollen und immer mehr Frauen schilderten Belästigungsvorfälle, auch gegen Männer in hohen Positionen. Auch Donald Trump wurde mit voller Wucht getroffen.  Laut den Vorwürfen von 27 Frauen belästigt, missbraucht und vergewaltigt Trump seit 30 Jahren. Frauen, die Trump durch seine Machtposition als Präsident und als milliardenschwerer Immobilienhai zu Objekten diffamiert hat. Die Zahl sexueller Belästigungen jener Frauen, die den Mut fassten, an die Öffentlichkeit zu treten, ist seit vier Jahren enorm gestiegen. Doch wie viele Frauen trauten sich nicht mit dem Finger auf den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten zu zeigen und ihre Erfahrungen mit der ganzen Welt zu teilen?  Es bleibt also nur zu hoffen, dass das  justice department die richtige Entscheidung treffen wird und Frauen wieder einen Grund gibt, Vertrauen in ein Rechtsystem zu haben, das sie eigentlich schützen sollte.  Vielleicht wird ja dann aus dem locker room talk  prison talk - Zellengerede. 

 ,,Grab him by his balls!”