Willkomm Höft Wedel
Hamburgs Tor zu Wasser
Wie der alltägliche Seemannsgruß in Wedel zum ganzen Stolz der Begrüßungskapitäne wird
Autor: Frederik Harder
Musik ertönt aus dem Nichts, eine Stimme spricht von einem baldigen Wiedersehen im Hafen. Die Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm Höft in Wedel fasziniert jeden Tag viele Leute am Ufer und auf See. Verantwortlich für Begrüßung und Verabschiedung der vorbeifahrenden Schiffe ist Wolfgang Adler - ein Kapitän an Land.
Wolfgang Adler steht am Fenster. Sein Blick ist auf die Elbe gerichtet. Eine Aussicht, die viele Leute genießen können. Doch der 65-jährige hat eine besondere Verbindung mit den vorbeifahrenden Schiffen. Er ist einer von fünf Begrüßungskapitänen des Willkomm Höft Wedel. Die Schiffsbegrüßungsanlage im westlichen Vorort von Hamburg existiert seit 1952. Jedes Schiff wird willkommen geheißen im Hamburger Hafen und bei der Abreise wieder verabschiedet. Die Kabine des gelernten Seehafenspediteurs befindet sich hinter der Terrasse des Schulauer Fährhauses. In seinem Sichtfeld sitzen die Gäste des Restaurants und verzehren Kaffee und Kuchen, dahinter die Elbe. „In dieser Form einzigartig auf der Welt“, sagt der ehemalige Segler stolz: „Auf vielen Seekarten sind wir mit der Begrüßungsanlage eingezeichnet, jeder Kapitän an Bord kennt diese Stelle“.
Wolfgang Adlers Arbeitstag beginnt um zehn Uhr morgens. Als Vorbereitung erhält er einen Ein- und Auslaufplan aller Schiffe. Sein Blick gilt fast durchgehend der Elbe: „Sie wirkt beruhigend. Ich liebe das Strömen des Wassers“. Der Drucker hinter ihm summt. Das Containerschiff York sei unmittelbar vor Wedel, heißt es auf einer Nachricht vom Schiffsmeldedienst in Finkenwerder. „Wenn dieser Punkt passiert wird, oder bei einlaufenden Schiffen westlich von uns in Stadersand, bekomme ich diese kurze Info“, erläutert der Begrüßungskapitän. „Das ist Zypern“, murmelt Adler mit Blick auf die Meldung über die York, die in Deutschland gebaut wurde. Er schaut auf die etwa 17.000 Karteikarten, die in alphabetischer Reihenfolge in einer riesigen, länglichen schwarzen Kiste einsortiert sind. Im Laufe der Jahre ist die Datenbank stetig angewachsen. Jedes Schiff, das vorbeifährt, befindet sich entweder bereits in der Kartei oder wird neu aufgenommen. Sollte sich der Schiffsname geändert haben oder das Schiff gar abgewrackt worden sein, erhalten die Begrüßungskapitäne diese Information vom Schiffsregister Lloyds in London. Ein Blick auf die Karten verrät, wie lange das Schiff sich bereits in der Kartei befindet. Sorgfältig sind alle Daten mit Bleistift notiert, von aktuelleren Schiffen bereits gedruckt. „Zum Teil werden die Karteikarten schon in den PC eingepflegt, wir drucken sie der Übersichtlichkeit halber aber trotzdem nochmal aus“, erklärt der „Herrscher des durchdachten Chaos“. Ein kurzer Blick auf zwei Bildschirme mit Webcam-Bildern verrät dem erfahrenen Kapitän, wie weit das angekündigte Schiff dem Willkomm Höft näher gekommen ist.
Der Blick geht aus dem Fenster. „Käsekuchen“, stellt Wolfgang Adler mit geübtem Auge fest. Weiter hinten im Sichtfeld taucht die York auf. Er dreht sich schnell um, betätigt die Musikanlage auf dem PC. Neben dem Klimpern der Gabeln ertönen nun der Abschiedsgruß und die Nationalhymne Zyperns durch die Lautsprecher.
Anschließend greift sich der 65-jährige das Mikrofon. „Liebe Gäste, wir verabschiedeten mit der Nationalhymne Zyperns das deutsche Containerschiff York“, schallt Adlers Stimme über die Lautsprecher im Schulauer Fährhaus. Allen Anwesenden trägt er nun die auf seinen Karteikarten festgehaltenen Informationen vor. Von den Maßen des Schiffes über die Maschinenleistung, maximale Arbeitsgeschwindigkeit und Ladekapazität bis hin zur Reiseroute.
In einer Zeit ohne Webcams
Als die Anlage 1952 entstand ist, spielten die Begrüßungskapitäne die Nationalhymnen noch mit Schallplatten ein. Da keine Webcams vorhanden waren, rannten die jugendlichen Gehilfen mit Fernglas bewaffnet auf die Brücke. Herauszufinden hatten sie, wie das Schiff hieß und unter welche Flagge es fuhr. „Wir teilten dies dann immer dem diensthabenden Kapitän mit und durften im Anschluss die Fahnen dippen - per Hand, versteht sich“, erzählt Adler stolz, der bereits seit seinem achten Lebensjahr dem Willkomm Höft verbunden ist.
Im Laufe der Zeit wechselte man von Schallplatten auf Kassetten. Alle 152 Nationalhymnen, unterteilt in Begrüßung und Verabschiedung, wurden im Studio vom NDR aufgenommen und gestiftet. Zuletzt nutzte Adler die Kassetten bei der Auslaufparade zum letztjährigen Hafengeburtstag, als die Kabel des PCs verschmort rochen. Ansonsten werden alle Audios vom PC abgespielt, die Kassetten dienen heutzutage einzig als Backup. Des Weiteren befindet sich in der Kabine das Schaltpult aus ewigen Zeiten. Simpel und einfach gestaltet, doch trotzdem muss man dieses kennen. Die komplette Beschallung und das Dippen der Hamburg-Flagge, sowie bei der Ausfahrt jedes Schiffes die Flaggenkombination ´U´ und ´W´, das Zeichen für „Gute Reise“, wird hier kontrolliert. Am anderen Ende der altmodisch gediegenen 3x6-Meter-Kabine steht die uralte Stromversorgung. „Das Teil ist - toi toi toi - noch nicht kaputt gegangen. Die komplette Versorgung von Mast und Musik läuft hierüber“.
„Ich weiß nicht, ob die da irgendwelche Lautsprecher auf den Deich stellen“
Einmal verzieht Wolfgang Adler am heutigen Nachmittag seine Miene. Verärgert zeigt er sich über Nachahmer des Willkomm Höft. „Wir sind das Original und in dieser Form einzigartig“. In Cuxhaven stünde zum Beispiel der Profit im Vordergrund, die Echtheit fehle. „Dazu weiß ich aber auch, dass das von den Reedern und Schiffen vollkommen ignoriert wird. Das hier ist das Original, das wollen alle hören“, sagt Adler und breitet seine Arme aus, als wolle er alles im Raum in diesem Moment ergreifen.
Einiges in der engen Kabine erinnert an die Zeiten von früher. Ein Artefakt aus der ersten Stunde hat seinen Platz auf einem Regal, zwischen Fahnen der Stadt Wedel und Hamburg: Die Schallplatte mit der Nationalhymne der Philippinen. Wolfgang Adlers Augen fangen an zu glitzern, als er den Tonträger langsam aus seiner Hülle nimmt. Vorsichtig und sehr behutsam reicht er ihn mir herüber. „Das ist wirklich die Allerletzte. Ich habe sie damals retten können, seitdem steht sie hier“.
Melodien im Kopf
Langweilig wird es für Wolfgang Adler wohl nie werden. Dank netter Kollegen und dem guten Umfeld könne er „das hier immer machen. Als Verbund passt das zu 100%“. Für ihn stehen vor allem die Gäste im Vordergrund, aber „natürlich auch das Übermitteln der Grüße an die Seeleute“. Doch etwas Abwechslung tut selbstverständlich immer gut: „Ich freue mich natürlich, wenn ich mal eine andere Hymne höre. Die Hymne der Philippinen höre ich beispielsweise nicht so oft, die hat aber was.“ Die Faszination Schifffahrt lebte Adler schon früh aus, befuhr er als Hobby-Segler doch „alle Weltmeere, außer dem Chinesischen“. Dementsprechend stimmt die Verbindung. Er nimmt seine Zeigefinger und Daumen, reibt sie leicht aneinander, als wolle er zeigen, dass ihm etwas sehr gefällt: „Hier fährt jeden Tag ein kleiner Tanker lang. Wenn man nur diese Maschine hört, dann ist das ein Klang wie früher. Dann mache ich auch gerne mal das Fenster auf, das Geräusch muss ich einfach hören“. Die Finger wandern Richtung Ohr, als höre Adler das Tuckern in dieser Sekunde.
„Wo sitzen sie schöner als hier? Wo sehen sie die Schiffe fast zum Anfassen, ohne dass irgendwas davor ist? Das findet hier statt“, beschreibt der 65-jährige den Touristenmagnet. In Wedel werden an 365 Tagen im Jahr die Seefahrer gegrüßt. Von morgens bis Sonnenuntergang. „Eigentlich ist das hier gar nicht das Willkomm Höft“, erzählt der Begrüßungskapitän eine weitere geschichtsträchtige Anekdote. „Es hat seinen Namen aus der Segelschifffahrt. Bevor die Schiffe in den Hamburger Hafen einlaufen durften, mussten sie etwas weiter östlich von Wedel ankern und warten. Das nannte man das Willkomm Höft“.
Wolfgang Adlers Blick geht wieder heraus aus dem Fenster, auf die Elbe. Seine Elbe.
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