Mann über Bord: Wasserleichen in der Alster
„Können Sie sich an einen ganz skurrilen Fall erinnern?“ „ Da gab es doch mal einen Fall des LKA.“, sagt Oberkommissar Friedenstab und nickt seinem Kollegen zu. „Die haben einen Mann aus dem Wasser gefischt.“ Er hatte ein Fahrrad auf den Rücken gekettet. Ob die Mafia neue Methoden entwickelt hat? Fahrrad statt Betonfüße?
Autor: Maike Reiß
Das Wasserschutzpolizei-Kommissariat Nummer zwei befindet sich an der Außenalster und ist ein kleines Häuschen am Wasser. Dort sitzen die Herren, die auf dem hamburger Gewässer für Ordnung sorgen.
Friedenstab begrüßt mich erleichtert: „Ich dachte schon, Sie versetzen mich heute.“ Mit einem verschmitzten Lächeln bittet er mich herein und stellt mich seinem Kollegen, dem Kommissar Markus Wiegandt vor.
Das kleine Büro ist an einen Konferenzraum angeschlossen und eröffnet den Blick auf das dahinter liegende Wasser. Dort werden wir also später raus fahren um den Wasserleichen auf den Grund gehen.
Die circa 164 Hektar große Wasserfläche der Außenalster bietet viel Platz für Segler, Kanuten und Hobbypaddler. Die Außenalster ist der größere von den zwei Teilen der Alster. Von ihr selbst gehen mehrere Nebenflüsse ab, die für einen Laien kaum zu überblicken sind.
Wiegandt arbeitet ebenfalls bei der Wasserschutzpolizei und sein Zuständigkeitsbereich umfasst die Binnenalster, Außenalster, die Mittelhaltung und alle Kanäle, die davon abgehen. In diesem Gebiet kümmert er sich um „Straftatenverfolgung, Ordnungswiedrigkeitenverfolgung und Präventionsarbeit.“ „Und Gefahrenabwehr!“, wirft Herr Friedenstab ein.
Unser Blick fällt immer wieder auf das Wasser, das viel zu bieten hat: Segelanfänger zeigen wackelige Choreographien und Drachenboote mit einer Gruppe gröhlender, junger Männer schippert vorbei.
Es ist ein warmer, heller Tag. Perfekt für unsere Fahrt auf dem Wasser. Im offenen Motorboot machen wir uns auf den Weg.
Ich denke an die gequälten Seelen, die sich ins Wasser stürzen um ihr Leben zu beenden. „Wie oft habt ihr denn mit Suiziden zu tun?“, frage ich. „Ungefähr einmal im Vierteljahr“, ist die Antwort.
Falls kein Journalist vor Ort ist, oder der Akt mit einer tragischen Geschichte zusammenhängt, wird das aber meistens nicht Publik gemacht. Viele Fälle bekommen keine große Aufmerksamkeit, denn eine Besonderheit ist das nicht. Die Selbstmordrate aus dem Jahre 2012 zeigt, dass jeder 100.te Todesfall, in Hamburg, ein Suizid ist.
Auf der Außenalster ist das Wasser sehr trüb. Ich kann nichtmal einen Meter tief gucken. Ein guter Ort, um eine Leiche verschwinden zu lassen. Taucher der Polizei suchen oft mehrere Tage lang nach Opfern, ehe sie sie finden können. Die Sicht ist einfach zu schlecht.
Im Februar 2013 veröffentlichte das Landeskriminalamt Hamburg eine polizeiliche Kriminalstatistik. Diese zeigt das Jahr 2012 im Überblick und offenbart, dass in diesem Jahr 12 Morde in Hamburg begangen wurden. Nur ein Fall konnte nicht aufgeklärt werden. Straftaten, die sich gegen das Leben eines anderen richten, gab es 88. Die Aufklärungsrate, betrug 90,9%. Somit sind nur acht Fälle im Ungewissen.
An einer naheliegeden Bücke hat sich vor ein paar Wochen ein Mann mit einem Seil an eine Laterne gebunden. Er legte sich eine Schlinge um den Hals und sprang hinunter. Somit hat er sich selbst erhängt.
Wenn er nun so über dem Wasser baumelt stellt sich die Frage: Wer ist denn nun für diese Leiche zuständig? Die Schutzpolizei oder die Wasserschutzpolizei?
Heiko Friedenstab erklärt augenzwinkernd:,,Wenn man ganz penibel ist, kann man das der Schutzpolizei zuordnen. Immerhin ist er am „Land befestigt“ und hat das Wasser noch nicht berührt. Aber in der Regel kümmert sich derjenige darum, der zuerst am Einsatzort ist.“
Doch nicht alle Selbstmörder begeben sich auf kleine Überführungswege. Die große Köhlbrandbrücke im Hafen Hamburgs ist ein wahrer Magnet für Suizidgefährdete.
Bei der Bergung einer Leiche im Wasser ist die Auffindesituation entscheidend. Als Bergungshilfen haben die Beamten an den Booten eine Art Netz aus Hartplastik. Das heißt Jason's Cradle, wobei dies der Name ist, den der Herstellers Land and Marine Products der Leichenangel gegeben hat. Mit diesem Hilfsgerät können Leichen oder Leichenteile im Wasser eingefangen und entweder in das Boot rein gehoben oder nebenher gezogen werden. Im Falle, dass die leblose Person an Bord geholt wird, wird sie mit einem Leichentuch abgedeckt, welches zur Grundausstattung der Polizeifahrzeuge gehört. Blicke von Neugierigen sollen somit ferngehalten werden. Außerdem legen die Beamten Wert auf Pietät.
Ist die Person geborgen, wird überprüft, ob möglicherweise lebensrettende Maßnahmen noch von Nützen sind. Dann wird sie auf Verletzungen, Identität, Abschiedsbriefe oder sonstige Auffälligkeiten untersucht. Die weitere Sachbearbeitung übernimmt das Landeskriminalamt.
Zum weiteren Verfahren wird dann das Landeskriminalamt mit einbezogen. Infos werden weitergegeben und das LKA wird somit zur ermittelnden Dienststelle.
Ein Bestattungsunternehmen bringt die Leiche, beziehungsweise Leichenteile in die Gerichtsmedizin.
Als wir nun mitten auf der Außenalster schwimmen und uns unterhalten, fällt uns eine Gruppe Kinder auf mehreren kleinen Segelbooten auf. „Die sind von der Segelschule vom anderen Ufer“, klärt mich Herr Friedenstab auf. Die Kinder tragen fast alle Rettungswesten. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn die meisten Hobbypaddler halten es nicht für nötig, sich auf dem Wasser großzügig auszustatten. Wir beobachten vorbei fahrende Kanuten oder Drachenbootbesetzer, die nicht sonderlich warm angezogen oder mit einer Weste versehen sind.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gibt einige wichtige Tipps, die in kritischen Situationen möglicherweise das Schlimmste verhindern können:
Rettungswesten für Kinder und Erwachsene sowie warme Kleidung und bestenfalls Wechselkleidung gehören an Bord. Von Alkohol und Drogen ist strengstens abzuraten und Rücksicht ist oberste Priorität!
Doch manchmal ist das Schlimmste eben nicht zu verhindern. Der Tod ist auch ein Begleiter von Polizeibeamten. Mal mehr, mal weniger.
Auf die Frage hin, ob einer meiner beiden heutigen Führer schon einmal eine Wasserleiche gesehen hat, scheiden sich die Erfahrungen. „Ich dachte erst, da schwimmt ein großes Kissen mit beigefarbenem Überzug im Wasser. Das stellte sich dann allerdings als die Haut des Verunglückten heraus“, gibt Friedenstab an. „Ich bin seit einem Jahr hier an der Alster tätig. Ich hatte schon diverse Einsätze mit Wasserleichen aber habe nie eine gesehen. Das liegt daran, dass diese schon vor meinem Eintreffen geborgen worden sind. Entweder vom LKA oder von der Feuerwehr. Sie sind in Ufernähe getrieben und somit war die Bergung mit dem Boot nicht notwendig“, sagt Wiegandt.
Wir machen uns auf in Richtung Kommissariat und verschwinden aus der Diskussionsatmosphäre über tote Menschen. Doch mein Kopfkino ist immer noch nicht so ganz vorbei. Erst als eine Frau an der Tür des Kommissariats klingelt und von dem Nachbarschaftstratsch erzählt bin ich mir sicher, auch hier ist eigentlich alles ganz normal.
Eure Kommentare
Uns interessiert besonders was du über Folgendes denkst: