Stand-Up-Paddling

Wie Jesus auf dem Wasser

Warum die Trendsportart „Stand-Up-Paddling“ die deutschen Binnengewässer erobert

Autoren: Patrick Berger, Paul Burba

Ein langes Paddel und ein großes Brett – das ist die Grundausrüstung für „Stand-Up-Paddling“. Ganz entspannt geht es bei der Trendsportart über das Wasser. Paul Burba und Patrick Berger über eine zunächst wackelige Angelegenheit.

Sie stehen aufrecht auf ihren Brettern, stoßen seelenruhig mit den Paddeln ins trübe Nass. Majestätisch gleiten sie dahin, den Blick über die Köpfe der Kanuten, Ruderer und Tretbootfahrer hinweg. Sie wirken wie Außerirdische - irgendwie deplatziert. Stand-Up-Paddling, kurz SUP oder auch Stehpaddeln, heißt die Sportart, die auch in diesem Sommer wieder auf den deutschen Seen und Flüssen ausgeübt wird.

Was aussieht wie ein 50 Kilo schweres Brett, wiegt in Wahrheit nur neun Kilo. Paul Burba (links) und Patrick Berger (Mitte) ließen sich von Philipp Heindl davon überzeugen.

Ein guter Gleichgewichtssinn und das Vertrauen ins Brett sind die wichtigsten Voraussetzungen für den Sport. Seine Ursprünge hat SUP bei polynesischen Fischern, die sich einst auf selbstgebauten Bambusflößen auf dem Pazifik fortbewegten, wie eine Legende besagt. In einer anderen heißt es, dass SUP der Sport des hawaiianischen Königs gewesen sein soll, neben dem sich nur Auserwählte stehend fortbewegen durften.

Unsere ersten „Gehversuche“ sind holprig, alles andere als flüssig. Zuerst knien wir auf dem drei Meter langen Anfängerbrett. Die Hände klammern sich an das schwarze Paddel. Unbeholfen stochern wir mit dem zwei Meter langen Spazierstock im Wasser. Es ist kühl. Und vor allem windig. Nicht das beste Wetter, um SUP zu lernen. Auf der Binnenalster werden an solch einem Tag auch Miniwellen von vier Zentimetern zu Hürden. Ganz langsam schwappen sie an das Brett. Der Balanceakt stellt uns vor echte Schwierigkeiten. Die Zehen krallen sich in das Brett. Doch dann, nach wenigen Minuten schon, bekommen wir Sicherheit, machen uns mit dem Brett vertraut. „Jetzt steht’s halt“, ruft SUP-Experte Philipp Heindl in seinem Wiener Dialekt und lächelt.

Wir stehen. Tatsächlich. Erstaunlich sicher sogar. Schnell bekommen wir ein Gefühl für das Wasser. Hüftbreit stehen, der feste Stand ist entscheidend. Sechs Schläge nach rechts, einen nach links. Es läuft. Für Menschen mit halbwegs sportlicher Grundverfassung ist SUP schnell zu erlernen. „Es ist wie Radfahren – nach zehn Minuten hast du den Dreh raus“, erklärt Heindl, der in Hamburg eine Art Pionier des neuen Sportvergnügens ist. Der 47-Jährige, der seit 1996 in der Hansestadt lebt, ist eigentlich staatlich geprüfter Skilehrer. Kantiges Gesicht, braune, lockige Haare und eine gute Statur – der typische Snowboarder. Zahlreiche Stunden verbrachte Heindl auf den Pisten Österreichs, bis ihn das Studium nach Düsseldorf und schließlich die Liebe nach Hamburg verschlugen. Hier fühlt er sich wohl. Denn Hamburg bietet mit der Alster ein tolles SUP-Revier. Außerdem: Die Hansestadt ist wunderschön, die Leute freundlich. Lediglich die deftige österreichische Küche vermisst er.

„Am Anfang habe ich auch gesagt: was für ein Schwachsinn.“

Bunt, bunter, Surfer-Kleidung – die Digger-Reporter Patrick Berger (links) und Paul Burba (rechts) sprachen im Freeridershop am Alsterglacis mit Inhaber Philipp Heindl.

Es ist purer Zufall, dass Heindl auf einem SUP-Brett landet. Ein Lieferant schickte ihm, der einen Shop für Snowboards, Freeski, Kitesurfen, Bike und eben SUP besitzt, im Frühjahr 2009 vier dieser viel zu großen Boards. „Am Anfang habe ich auch gesagt: Was für ein Schwachsinn“, erinnert sich der Wiener und rückt dabei die schwarze Hornbrille zurecht. „ Aber als wir auf dem Wasser standen, waren wir sofort angefixt.“ Schon nach einem Jahr war er Mitgründer des SUP Club Hamburg. Der Vorteil des Stand-Up-Paddlings? Heindl: „Man ist nicht, wie beim Surfen oder Kiten, auf Wind und Wellen angewiesen.“

Für Heindl bietet Hamburg die optimalen Bedingungen für den jungen Sport, der erst vor vier Jahren über den Atlantik in die deutschen Binnengewässer schwappte. Wo sich ein Trend entwickelt, ist immer auch ein Geschäft: Bis zu 1500 Euro ist man für Brett und Paddel schnell los. Zugegebenermaßen, sagt Heindl, sei SUP auch eine Masche der Industrie, eine Art Kommerzialisierung.

„Das reine Naturerlebnis ist der Kick“: Philipp Heindl im Gespräch mit Patrick Berger und Paul Burba.

Aber auch echter Sport und ein Naturerlebnis. Neben der nicht zu unterschätzenden körperlichen Komponente – SUP trainiert vor allem die Rücken- und Rumpfmuskulatur – steht die Natur im Vordergrund. Der aufrechte Stand auf dem Brett ermöglicht einen völlig neuen Blickwinkel auf das Umfeld. Das merken wir schnell bei unserem Selbstversuch. Wir sind ganz alleine, spüren nur das Wasser unter den Füßen und hören dem Plätschern der Paddelschläge zu. Alles um uns herum wird für diesen Moment ausgeblendet. Wir genießen den Blick auf die Promenade, den Neuen Wall und den Jungfernstieg. Das königliche Paddeln fühlt sich an, als könnten wir auf dem Wasser laufen. „Wie Jesus“, sagt Heindl und grinst. „Das reine Naturerlebnis ist der Kick. Außerdem hat Stehpaddeln einen hohen Coolness-Faktor.“

Bevor Paul Burba auf dem Brett steht, wird auf Knien geübt.

„Das reine Naturerlebnis ist der Kick.“

SUP taugt aber nicht nur als entspannte Fun- und Freizeitsport. In Zusammenarbeit mit Krankenkassen werden auch Yogakurse auf den Brettern angeboten. Extrem-Paddler und Profis hingegen gehen bei Deutschen Titelkämpfen und Weltmeisterschaften auf die Bretter (siehe Infokasten). Im August 2013 war die HafenCity-Hamburg nach 2009 und 2010 bereits zum dritten Mal Austragungsort des World Cup. Begleitet wurden die Wettkämpfe von einem großen Event mit Prominenten, Mitmachaktionen und Schnupperkursen.

Mit dabei war auch der 20-jährige Casper Steinfath. Der junge Däne aus Klitmøller gehört schon jetzt zu den Stars der Szene. Im Sprint (500 m) und über die Long Distance (10.000 Meter) sicherte er sich jeweils den dritten Platz. Wenn man mit ihm redet, weiß man, was den Sport prägt: Casper ist die Ruhe in Person, strahlt unglaubliche Gelassenheit und Coolness aus. Sehr „laid-back“ eben, wie die Surfer sagen (siehe Interview).

Junggesellinnenabschiede und Yoga-Kurse

Der neue Wasser-Trendsport ist aber keine Männerdomäne wie Surfen und Kiten. In Heindls Club ist der durchschnittliche Besucher weiblich und um die 35 Jahre alt, drei Viertel der Kursteilnehmer sind Frauen. Heindl: „Sie trauen sich eher, den neuen Sport zu erlernen und haben weniger Probleme, sich beim Reinfallen ins Wasser zu blamieren.“ Wöchentlich werden mehrere Junggesellinnenabschiede gefeiert, die Frauen versuchen sich tapfer auf dem wackligen Brett. „Die Frauen wollen aufs Wasser und nicht nur am Strand liegen“, fügt Heindl hinzu. Männer dagegen „haben ihre Segel oder Drachen. Die brauchen Action“.

Auf dem Weg zur Binnenalster lassen sich Patrick Berger (Mitte) und Paul Burba (rechts) von Philipp Heindl über die Facetten der Trendsportart aufklären.

Auch wir haben an diesem Tag den Action-Kick gesucht – und gefunden. Nach zunächst wackligem Beginn ziehen wir erhobenen Hauptes davon. Wir haben den Miniwellen der Binnenalster getrotzt und das erlebt, was SUP ausmacht: Genuss.